Im Land der Kanelbulle Kapitel 3: Nordseeküstenradweg Schweden: Göteborg – Fredrikstad

25. Mai

Göteborg – Stenungssund

68 km

Der Ruhetag in Göteborg hat wirklich gut getan, ich habe den Eindruck, mein Rad fliegt nur so über den Asphalt. Das könnte aber auch an dem frisch aufgefüllten Luftdruck von meinen Reifen liegen. Nun geht es weiter, ohne Karte … Dafür lasse ich heute mein aus an Netz heruntergeladen Track auf dem Garmin gegen Komoot antreten. Den Weg aus Göteborg überlasse ich dem Garmin, ein wenig Schwierigkeiten habe ich, den Eingang zur Brücke zu finden, die aus der Stadt hinaus führt, aber auch das gelingt irgendwann, nachdem ich mich durch mehrere Baustellen gekämpft habe. Der Weg sah auf der Karte ganz idyllisch aus, entlang eines Flusses eben. Dass zwischem dem Fluss und meinem Weg neben der Strasse noch eine sechsspurige Autobahn liegt, das habe ich übersehen. So zieht es sich ein wenig. In Kärra sind sich Komoot und mein Garmin nicht einig und führen in unterschiedliche Richtungen. Ich entscheide mich fur Komoot, was bedeutet, dass ich mit Knopf im Ohr fahren muss, da die Befehle von meinem Handy im Straßenverkehr nicht zu hören sind. Ein wenig lästig. Aber der Weg entlang eines Flusses ohne Straße dazwischen ist toll und ich glaube, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, bis ich auf eine Baustelle treffe. Das Tor steht offen und ich fahre munter weiter, stelle aber direkt fest, dass hier nix aber auch wirklich nix mehr an eine Straße erinnert. Ein Baggerfahrer schaut mich fragend an, stoppt seinen Motor und steigt aus. “You are not allowed to drive here!“ “But my route says that I’m correct. Was here a street before the construction?“ “Yes, not we are building here since 2016. Come with me, I will help you!“ Er hat Mitleid mit mir und führt mich doch wirklich mit meinem Rad über die Baustelle, das sind vielleicht 200 Meter, aber es ist streng verboten. Und zudem ist noch der “Big Boss“ heute zu Besuch. Ich bin mehr als dankbar, den Weg nicht zurück zu müssen und folge einem Schotterweg, zwar auch noch Baustelle, aber befahrbar. Als ich endlich wieder eine wirkliche echte Straße erreiche, winkt mir noch ein anderer Baggerfahrer zu. Ich sag es doch, diese Schweden sind schon toll und wäre ich nicht bereits ein Fan, ich wäre es heute geworden. Dabei frage ich mich auch, wie es mir in Deutschland gegangen wäre, schwer zu beantworten, aber ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass man mich mit großer Wahrscheinlichkeit zurück geschickt hätte.

Der Weg führt nun in stetem auf und ab durch eher spärlich besiedeltes Gebiet, dafür ist alles wunderbar grün um mich rum mit gelb blühenden Feldern und auch ein paar Lupinen am Wegesrand. Es läuft ganz ausgezeichnet heute und ich bin schon sehr früh an meinem heutigen Zielort, wo ich noch die Touri-Info aufsuche und meine Einkäufe fürs Abendessen erledige. Der Weg zum Zeltplatz wird nochmal abenteuerlich, ich beide den Radweg uns fahre inmitten von fuhren Autoverkehr über eine Brücke, wechseln ist nicht möglich. Erst als die Absperrung zum Radweg eine Lücke aufweist und ich lange warte, um eine Lücke im Autoverkehr zu erwischen, kann ich mich auf das sichere Terrain flüchten. Zur Belohnung winkt eine Nacht an einem wunderschönen Platz in einer “Ministubba“.

26. Mai

Stenungssund – Lysekill

81 Kilometer

Ich bin heute bereits darauf eingestellt, dass es eine hügelige Tour werden wird. Aber das Wetter könnte nicht … naja, lassen wir das. Ihr wisst ja Bescheid. Die Landschaft hat sich inzwischen verändert. Es wird am Wegesrand wesentlich felsiger. Gleich zu Beginn fahre ich über zwei imposante Brücken. Leider muss man sich beim Fahren so konzentrieren, dass man nur bedingt dazu kommt, die schöne Aussicht zu geniessen. Ich bin damit beschäftigt, meine Beine anzufeuern: “Ihr schafft das! Ihr schafft das! Ihr schafft das!“, und sie geben sich auch wirklich Mühe und schaffen das prima. Die nach jeder Steigung folgenden Abfahrten kommen mir immer noch länger vor als die Anstiege, besser als umgekehrt, vor allem für die Moral. Für meine Mittagspause finde ich auch heute wieder ein hervorragendes Plätzchen. Und dann folgen noch zwei kleine Fährüberfahrten, die nicht mal was kosten. Bei der zweiten schließe ich Bekanntschaft mit einer Motorradgang. Ich bin ja auch ein Biker! Ich werde gefragt, wie viel PS mein Rad unter der Haube hat. Als wir die Fähre verlassen, gelingt es mir nur kurz dem Tempo der anderen “Biker“ stand zu halten und ich muss abreißen lassen. Und so langsam flüstern mir meine Beine zu, dass es für heute nun auch wirklich genug ist. Eine letzte Fähre muss noch genommen werden. Am Fährhafen kommt Tilly aus der Schweiz angerauscht, genauso aber beladen wie ich mit gelben Ortliebtaschen. “Den ganzen Tag hab ich warten müssen, es fahren mir die kleinen Fähren, die nehmen keine Räder mit. Aber im vier Uhr geht wohl eine große.“ Eine dieser kleinen Fähren läuft gerade ein, und es stimmt, für Räder ist da wirklich kein Platz. Bis die große kommt, sind es noch gute 40 Minuten und wir warten geduldig und tauschen uns aus. Tilly ist auf dem Weg zum Nordkap und möchte von da aus noch weiter: Finnland und dann den Weg über den Eisernen Vorhang zurück in die Schweiz. Seit zwei Monaten ist die schon unterwegs und am Ende möchte sie ungefähr sieben Monate gereist sein. Ihr Gemisch aus holländischem Akzent und schweizerdeutsch macht es mir nicht immer ganz einfach, sie zu verstehen. Als um 16 Uhr endlich das Schiff einläuft, machen wir enttäuschte Gesichter, es ist der gleiche Fährmann in einem kleinen Boot! Aber er hat aber Erbarmen mit uns, und gemeinsam schaffen wir die schweren Räder über die kleinen Stufen in den Innenraum. Ich habe ja noch viel mehr Glück als Tilly, die den ganzen Tag noch keinen Kilometer gefahren ist. Um Geld zu sparen campt Tilly meist wild, sie begleitet mich, aber heute begleitet sie mich auf den von mir anvisierten Campingplatz. Zu zweit ist es für jeden wesentlich günstiger. Wir teilen das Abendessen miteinander und unterhalten uns über das Reisen. Tilly kann ununterbrochen reden und wenn sie nicht damit beschäftigt ist, kramt sie in ihrem Sachen.

27. Mai

Lysekill – Fjällbacka

57 Kilometer

Heute steht die erste Tour gemeinsam mit Tilly an. Es dauert ein wenig länger, bis wir loskommen. Im nächsten Supermarkt kaufe ich zügig mein Tagrsproviant ein, während Tilly einen großen Einkauf macht. Und dann gibt es noch ganz gemütlich einen Kaffee. Daran muss ich mich gewöhnen, wenn ich aufbreche, möchte ich auch aufs Rad und ein paar Kilometer fahren. Aber die heutige Etappe ist kurz und wir haben die Zeit. Das Tempo passt immerhin prima. Und bei der ersten gemeinsamen Mittagspause hat man nun die doppelte Auswahl, auch schön. Heute haben wir erst mit Gegenwind auf einer vielbefahrenen Straße zu kämpfen. Mein Track auf dem Garmin, auf den ich mich inzwischen verlasse, folgt oft einer anderen Route als Tillys Tourenbuch, aber sie überlässt mir die Führung. Später geht es dann auch auf ruhigere Wege, aber dafür dann munter auf und ab. In Hamburgssund machen wir noch eine Pause, es ist wirklich ganz schön warm heute, 27 Grad. Ich kaufe noch für mein Abendessen ein. Tilly sitzt auf einer Bank und sagt, sie wird gleich einschlafen, das kennt sie schon, das dauert nur ein paar Minuten. Und kurz darauf sackt sie in sich zusammen. Ich löffel munter meinen Quark und nutze das Wifi des Supermarktes. Allen Menschen, die uns besorgt anschauen, versuche ich durch meinen Blick zu sagen, alles fein. Und ein paar Minuten darauf ist Tilly dann auch wieder da. Tilly hatte gestern gefragt, ob wir heute vielleicht wild campen, ich hab mir das gut überlegt, ich mag meine warme Dusche am Abend, ein warmes Abendessen, einen heißen Tee am morgen und dann wäre da noch die Sache mit der Toilette … Ich entscheide mich eindeutig dagegen, ich glaube, dass is nix für mich. Aber natürlich verstehe ich auch Tilly, die mit dem Geld haushalten muss, wenn sie sieben Monate unterwegs ist. Doch auch heute begleitet sie mich zum Campingplatz und der liegt wunderschön inmitten von Felsen. Nach einer Diskussion über die hohen Preise, und wie viel das in Schweizer Franken wäre, stellt Tilly dann fest, dass der Preis für zwei Personen ist und beschließt zu bleiben. Da Sonntag ist, sind die meisten Gäste schon abgereist und es ist herrlich ruhig. Abends verschlingen wir beide dann Unmengen an Essen.

28. Mai

Fjällbacka – Strömstad

50 Kilometer

Wieder sind wir um neun Uhr abfahrbereit, der nächste Supermarkt wird aufgesucht, hier gibt es keinen Kaffee, aber Tilly beschließt, dass sie noch eine Karte an ihre 93-jährige Mutter schreiben möchte und findet zielstrebig das nächste Cafe. So dauert es wieder länger, bis wir endlich ins Fahren kommen, aber das läuft ganz hervorragend. Heute muss ich meine Beine nicht anfeuern, denn sie flüstern mit leise zu “Wir machen das! Wir machen das! Wir machen das!“. Und das erste Mal machen mir die Anstiege sogar Spaß. Ob es an dem Rückenwind, an den weniger steilen Hügeln oder an den heute kühleren Temperaturen liegt, kann ich nicht sagen. Aber wir rauschen nur so dahin. An einer Bushaltestelle machen wir Mittagspause. Wir treffen auf zwei englische Radler, die sind gestern in Oslo angekommen und wollen nach Hamburg, in 10 Tagen! Mit mehr als 100 Kilometern am Tag. Aber was sie nicht auf dem Zettel hatten, sind die Steigungen, jetzt schauen sie mal wie weit sie kommen. Mein Track hat auch heute eine andere Streckenführung, als Tillys Buch – offenbar auch eine kürzere, den bereits nach 50 Kilometern und nicht wie erwartet 60, kommen wir am Campingplatz vor Strömstad an. Tilly möchte heute eine kleine Hütte mieten, die sind nur wenig teurer als ein Zelt, mir ist beides recht. Kaum haben wir bezahlt, öffnet der Himmel seine Schleusen. Den Nachmittag sind wir dann faul, ich nutze die Möglichkeit, zu waschen, ziehe mich aber auch bewusst zurück, ich merke, dass ich Zeit zum Alleinsein brauche, mir die stillen Momente fehlen und ich gern auch wieder meinem eigenem Tagesrhythmus folgen möchte.

29. Mai

Strömstad – Fredrikstad

76 Kilometer

Am Vorabend fiel es mir schwer einzuschlafen. Mir ist das mit Tilly in der engen Hütte zu nah, zudem fängt sie noch an zu schnarchen. Nach mehr als zwei Stunden Hörbuch über Kopfhörer fängt mich der Schlaf schließlich ein. Morgens gelingt es mir dann auch nur mäßig meine Ungeduld nicht zu zeigen, bis Tilly fertig gekramt und abfahrbereit ist. Heute stehen immerhin über 70 Kilometer mit einigen Steigungen an und es ist wieder spät, als wir endlich losradeln und vom ersten Supermarkt loskommen. Der erste Stopp erfolgt kurz darauf am Gut Blomsberg, wo es allerlei zu sehen gibt. Wir gehen zu einem Schiff, das aus Steinen errichtet wurde, warum, weiß man nicht, aber es gibt verschiedene Theorien dazu. nach einigen aufeinanderfolgenden Anstiegen und Abfahrten ist von Tilly nichts mehr zu sehen. Ich warte … und warte … und warte. Gerade als ich mir anfange Sorgen zu machen und ich den Weg zurückfahre, taucht Tilly auf, sie hatte ein Schwätzchen mit einer Radfahrerin gehalten. In Svinesund dann Mittags- und Einkaufspause, wo die letzten schwedischen Kronen verjubelt werden wollen. Ich bin schon lange abfahrbereit, aber es dauert wieder ein wenig, bis Tilly fertig gekramt hat. Und dann folgt die Grenze nach Norwegen. Ich bin in ein paar Meter vor Tilly, diesen Augenblick möchte ich gern allein für mich haben. Es ist immer ein schönes, gar schon erhabenes Gefühl, eine neue Grenze erreicht zu haben. Und Norwegen bedeutet irgendwas für mich, was genau, muss ich selbst noch herausfinden, bisher ist es nur so eine Ahnung. Auf dieser Brücke gibt es auch Gelegenheit Fotos zu schießen. kurz nach der Grenze möchte Tilly dann die nächste Pause in einem Motel. Schon wieder Pause, wir hatten dich gerade erst Mittag. Doch ohne norwegische Kronen und ohne Geldautomat ist hier nichts auszurichten, mit Karte zahlt Tilly nicht, das kostet ja zusätzliche Gebühren, mindestens einen Franken. Es ist inwischen halb vier und es stehen erst 40 Kilometer auf dem Tacho. Tilly würde den Tag gern bald beenden, ich möchte noch weiter bis Fredrikstad, also beschließen wir uns zu trennen und ich sage Tilly, wo der nächste Campingplatz zu finden wäre. Für mich geht es allein weiter, über eine Schotterpiste mit ein paar Höhenmetern, die meine Kräfte und meine Beine fordern. Dafür kommt man an einer wunderschönen Bucht (oder heißt es jetzt Fjord?) bei Hoysand raus und es ist erstaunlich, wie sehr sich die Landschaft quasi mit Landesgrenze verändert hat. Als ich dann endlich wieder eine normale Straße erreiche, höre ich kurz darauf ein bekanntes Klacken hinter mir, Tillys Gangschaltung. Sie hat den kürzeren und einfacheren Weg entlang der Bundesstraße genommen. Bis Fredrikstad sind es nun noch 15 Kilometer, und sie sagt, das schaffe sie wohl noch. Diese 15 Kilometer führen aber wieder entlang eines zwar autofreien aber schwer befahren Weges, bei dem man stellenweise schieben muss. Tilly braucht Hilfe, ihr Rad ist so viel schwerer beladen als meins. Sie hat unter anderem drei Schlafsäcke dabei und ein komplettes massives Kochset, was allein so viel wiegt, wie meine gesamte Zelt- und Kochausrüstung. Zum Glück liegt der Zeltplatz schon früh am Ortseingang. Heute bin ich kaputt, es ist schon spät und ich freue mich wie immer über eine warme Dusche und genieße das Abendessen.

Fazit Schweden: Ich hatte etwas Respekt vor der Strecke, da meine Recherchen in Götebeborg weder zu befriedigendem Kartenmaterial führten noch gezeigt haben, dass die Route bei den Schweden bekannt ist, was schade ist, denn touristisch könnte man hier bestimmt mehr rausholen. Die Strecke ist toll, super befahrbar und landschaftlich abwechlsungsreich. Zudem auch kulinarisch voll auf meiner Linie, jeden Tag gab es mindestens zwei Zimtschnecken plus Marabouschokolade (leider ist es mir in der kurzen Zeit nicht gelungen, alle Sorten durchzuprobieren). Und das schwedische Volk an sich hat mich sofort eingenommen, super nett, mega hilfsbereit und dabei jederzeit entspannt. Alle meine Erwartungen bis hierin wurden mehr als übertroffen. Und zum Abschluss nochmal: Das Wetter hätte schöner gar nicht sein können 🙂

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