50 Miles. Kapitel 7: Nordseeküstenradweg Schottland: Edinburgh – Thurso

9. Juli

Edinburgh – Falkland

75 Kilometer

Nach einem sehr netten Abend und einem ebensolchen Frühstück geht es weiter für mich. John hat mich noch mit ausreichend Kartenmaterial ausstaffiert, die Route aus Edingburgh raus ist farblich markiert. Ich schaffe es dennoch, mich kurz zu verfahren. Doch der Nordseeküstenradweg ist bestens ausgeschildert, ist man einmal wieder auf der Route ist verfahren fast unmöglich. John hat mir außerdem einen alternativen Weg empfohlen, die Route 69, die noch relativ neu ist und parallel zur Küste verläuft. Ich hab heut massig Zeit und folge der Empfehlung. Der Weg bringt mich ebenso nach South Queensbury, wo man eine große Brücke überquert. Mein Radführer warnt, dass die Brücke bei zu starkem Wind manchmal gesperrt sei, aber heute ist es ruhig und ich kann unbehelligt fahren. Ab Townhill wird es landschaftlich wieder abwechslungsreicher, um einen herum erheben sich Hügel und auch ein kleinerer Berg muss erobert werden. Links und rechts um mich herum blühen Scharfsgabe und Weidenröschen um die Wette. In Kinross empfängt einen dann das „Loch Neven“, das Cafe mit Wasserblick hat nur leider geschlossen. Schade … Mein heutiges Ziel ist ein Ökohof samt Cafe und Shop und heißt „The Pillars of Hercules“. Da es auch hier keine Möglichkeit zum Kochen gibt, ordere ich noch schnell eine Portion Pasta, bevor das Cafe schließt. Und auch Lavendelshampoo in Seifenform wandert über den Tresen und schließlich in meinem Gepäck, bevor ich mein Zelt unter einer Reihe Obstbäumen aufschlage.

10. Juli

Falkland – Carnoustie

81 Kilometer

Die Temperaturen sind über Nacht gefallen, zum Frieren kommt man trotzdem nicht, da direkt der Beginn der Etappe einige Höhenmeter bereit hält. Aber insgesamt fährt es sich sehr gut und ich habe für den heutigen Tag auch ein paar Kilometer mehr geplant als bisher. Die letzten Tage war ich eher „pumpelig“ (Wittram-Vokabular für langsam, trödelig) unterwegs, jetzt kann ich ruhig mal wieder mehr aus dem Quark kommen. Es gibt sowas wie ausgleichende Gerechtigkeit, gestern hab ich keinen Kaffee zu meiner Mittagspause bekommen können, aber heute gibt es zum Beginn von einem Naturschutzgebiet einen kleinen Stand mit Kaffee und Crepes, sehr schön. Der Weg ist nun etwas schotterig, zum Glück aber ohne Steigungen, so dass er sich ganz gut fahren lässt. In Newport on Tay geht es wieder über eine Brücke, mitten in der Mitte, rechts und links rauschen die Autos vorbei. Nach einem kleinen Stadtbummel in Dundee durchquert man den Hafen, normalerweise muss man hier den Ausweis zeigen, bevor man die Sicherheitsschranke passiert, aber ich scheine so vertrauenswürdig auszusehen, dass sich die Pforte direkt öffnet. Der weitere Weg ist wieder mit Meeresblick, bis man links an einem Militärgelande vorbeifährt, zahlreiche Warnschilder verbieten das Betreten und weisen auf die Lebensgefahr hin, und ja, es sind tatsächlich immer wieder Schusssalven zu hören. Ohne Schussverletzung erreiche ich den Campingplatz von Canoustie, den mein Radführer ausdrücklich empfohlen hat. Der Inhaber Bill empfängt mich herzlich, versorgt mich mit einer Karte, in der alle Campingplätze Schottlands aufgeführt sind und akzeptiert bei unseren Preisverhandlungen über die Nacht nur einen sehr geringen Betrag, obwohl ich mehr zahlen möchte. Ich solle mir stattdessen lieber ein Bier kaufen. Das mache ich zwar nicht heute, aber beim nächsten Bier werde ich an Bill denken.

12. Juli

Canoustie – Stonehaven

85 Kilometer

Bill verabschiedet mich noch nicht ohne mir eine Arbeit auf dem Campingplatz anzubieten, nächste Woche sind die British Open (Golf), da könne er Unterstützung gebrauchen. Ich entscheide mich trotzdem dafür meine Tour fortzusetzen, auch wenn es heute nieselt. Es radelt sich ganz wunderbar, da die Strecke sehr eben und immer parallel zum Meer verläuft. Und kurz nach Mittag lässt sich auch die Sonne wieder blicken. Nach Johnshaven entscheide ich mich für die „Offroad“-Variante der Strecke, die Alternative wäre im starken Verkehr auf der A92 zu fahren, bei der Wahl lasse ich mich lieber durchrütteln, auch wenn die Ausblicke herrlich sind. Ein kleines Teilstück muss man dann doch auf die A92, bevor es auf hügeligeres Terrain durch Felder geht. Bevor ich den Caravanplatz aufsuche besorge ich mir neuen Spiritus, hier in England sind die Plätze nicht mit Kochmöglichkeiten ausgestattet und ich will es nochmal wagen, in einer Apotheke bekomme ich das gesuchte, wenn auch lila eingefärbt. Aber auf der Verpackung steht immerhin „As a fuel for burners“, wird schon schiefgehen. Immerhin weiß ich ja jetzt, wie die Flammen zu löschen sind. Mein Abendessen klappt aber ohne Katastrophen, auch wenn die Flamme im Wind ordentlich hin und her wirbelt.

12. Juli

Stonehaven – Newmachar

66 Kilometer

Morgens nieselt es, aber immerhin kann ich mir jetzt einen heißen Tee machen. Der Weg ist heute geprägt von einer parallel verlaufenden Autobahnbaustelle, die sieht größtenteils schon ziemlich fertig aus. Mich überholen auf den schmalen Feldwegen aber ständig Fahrzeuge mit der Aufschrift „Highway Maintenance“. Der Weg ist hügeliger als von mir angenommen, auf der Karte sah es nach einem Katzensprung bis Aberdeen aus, aber das dauert doch etwas länger, denn die Route beschreibt auch einige Bögen. Meine Beine mögen heute auch nicht so recht und ich bekomme schlechte Laune. Ich merke, dass es Zeit für einen Ruhetag wäre und ich hatte auf schlechtes Wetter spekuliert, aber das hat sich nach hinten geschoben. Als ich Aberdeen dann endlich erreiche gibt es den üblichen Bummel durch die Stadt und fpr den Brenner besorge ich noch einen Windschutz. Wenn man der Route raus aus der Stadt folgt, geht es noch durch das alte Aberdeen, wunderschön, aber wie scheinbar immer bei schönen Ausblicken auf holprigen Wegen, dieses mal Kopfsteinpflaster. Der weitere Weg führt parallel zu einer stark befahrenen Straße und ich beende die Etappe an einem Hotel in Newmachar. Als ich sage, dass ich heute abend im Pub das Halbfinale England gegen Kroatien schauen werden, erfahre ich, dass ich einen Tag zu spät bin, das Spiel war bereits gestern und England hat verlorgen. Na sowas …

13. Juli

Newmachar – Biff

84 Kilometer

Morgens verschlinge ich mein Rührei mit Bacon samt vier Toasts. Laut meiner Planung stehen heute 50 Meilen an, umgerechnet ca. 85 Kilometer. Dann bin ich auch wieder an der Küste, wo man wieder campen kann. Meine Suche nach weiteren warmshowers Gastgebern war leider erfolglos, jetzt sind viele selbst im Urlaub oder stecken in den Vorbereitungen und haben keine Zeit. Für mich geht es bergauf und bergab durch ein landwirtschaftlich geprägtes Gebiet, ich passiere Weizen-, Gerste- und Kartoffelfelder neben einer Menge weidenden Kühen. Im Gegensatz zu gestern ist auch meine Laune wieder prima und zudem läuft es heute ganz wunderbar. Würde ich es selbst nicht besser wissen, würde ich mich unter Dopingverdacht stellen. Oder war etwas in dem Bacon von heute morgen? Und um mit den Fragen fortzufahren, welche Bedeutung hat es wohl, wenn an einem Freitag, den 13. ein kleines Mäuschen von links noch rechts den Weg passiert? Zumindest widerfährt mir kein Unglück, im Gegenteil, ich passiere wunderschöne kleine Ortschaften und entdecke die wohl schönste Telefonzelle der Welt in Udny Green, die aber inzwischen kein Telefon mehr enthält sondern einen Defilibrator. In Tarves stocke ich mein Proviant auf und dann führt der Weg nach der nächsten Ortschaft wunderbar bequem über den „Butchers Way“. Erst nach 45 Kilometern lege ich meine erste richtige Pause ein. Das letzte Drittel ist dann wieder hügelig aber wunderschön. Der Campingplatz liegt direkt am Strand und obwohl ich kaputt bin, überrede ich mich noch zu einem kurzen Strandspaziergang.

14. Juli

Banff – Findhorn

84 Kilometer

Heute läuft es nicht ganz so rund wie gestern. Aber ich habe mit Gegenwind und vielen unbefestigten Wegen auch erschwerte Bedingungen. Und so stellt sich auch kein richter Fahrspaß ein. Ich merke, dass ich sehr dringend einen Ruhetag vertragen kann. Dafür wollte ich eigentlich einen Regentag abwarten, der angesagte Regen verschiebt sich aber Tag für Tag nach hinten. Jetzt sind es nur noch zwei Etappen bis Inverness, da wird auf jeden Fall pausiert. Die heutige Etappe bietet wenig Überraschendes, bis auf einen Aldi-Markt in Elgin, wo ich erstmal das britische Sortiment unter die Lupe nehme und das ein oder andere in meine Fahrradtaschen wandert. Danach folgt man ruhigen Feldwegen und ich bin froh, als ich mein anvisiertes Tagesziel erreiche. Dort sehe ich aber schon von Weitem eine festlich gekleidete Gesellschaft und schließlich auch ein Brautpaar, geschlossene Gesellschaft, ich muss leider weiterziehen. Der nächste Platz ist nur über einen Umweg erreichbar, und auch dort möchte man mich abweisen, alle Zeltplätze sind voll, heißt es. Puh, ich habe keine Lust noch weiter zu fahren, zumal alle Alternativen ca. 15-20 Meilen entfernt sind. Ich lege also vor der Rezeption erstmal einen kleinen Sitzstreik ein, mümmel eine Packung Kekse gegen den Hunger und überdenke meine Lage. Nun hat auch der Inhaber des Platzes meine Not erkannt und bietet mir ein kleines Plätzchen unter den Bäumen an, mir ist alles egal, hauptsache, ich muss nicht weiter. Ich bin froh, mein Lager aufschlagen zu könnnen. Nach mir kommen noch viele weitere Zelte, ob die wohl vorher reserviert hatten. Und ja, jetzt ist wirklich alles voll, aber sobald man den Reißverschluss seines Eingangs zuzieht, ist davon nichts mehr zu sehen.

15. Juli

Windhorn – Inverness

68 Kilometer

Nun ist er doch da, der Regen, er kam über Nacht. Bei Nieselregen aber sehr warmen Temperaturen geht es auf nach Inverness, voller Vorfreude auf einen Tag Pause, ein Bed & Breakfast habe ich mir gestern noch schnell gesichert. Der erste Teil der Etappe ist herrlich flach und neben mir sind wie auch letzten Sonntag wieder einige andere Radler in wesentlich sportlicheren Outfits unterwegs. Man grüßt sich herzlich. In Nairn gibt es Kaffee, Scone & richtigen Regen. Eingemummelt in Regensachten lässt es sich aber ganz gut fahren. Einige Höhenmeter müssen schließlich doch noch weggestrampelt werden, nicht dasss noch Langeweile aufkommt. Und als ich gerade in Inverness einfahre, gibt es ein Cafe für Radler, da kann ich natürlich nicht wiederstehen.

16. Juli

Inverness – Invershire

99 Kilometer

Den Ruhetag habe ich stilecht genutzt, um meinen ersten Whiskey zu kosten. Heute lasse ich die Stadt hinter mir, es dauert aber seine Zeit, bis man dem Autoverkehr entkommt. Es gibt eine Winter- und eine Sommerroute. Ich entscheide mich für letzter, die eine Fährüberfahrt beinhaltet. Dafür muss ich mich allein an den Schildern orientieren, da mein Track nur die Winterroute entlang führt. Das klappt aber ganz ausgezeichnet. Wieder geht es hoch hinaus, ein Schmetterling gibt mir einen Nasenkuss und kurz darauf kreuzt ein Reh gleich zweimal meinen Weg. Man hat herrliche Ausblicke, bis man zum Fähranleger in Cromarty hinab düst. Kurz nachddem wir abgelegt haben, werden vom Fährmann Delfine gesichtet und alle stürmen zum Fenster. Das ist doch erstaunlich, welche Wirkung diese Wesen auf uns haben, alle gehen strahlend wieder von Bord und auch ich grinse die nächsten Kilometer noch wie ein Honigkuchenpferd. Die letzten Kilometer muss ich dann doch ein wenig beißen, bei einer Eisenbahnbrücke kommt man leider auch nicht umhin, sein Gepäck komplett abzuschnallen, um alles zweimal die Treppen runterzuschleppen. Aber dann ist schließlich auch meine Unterkunft erreicht. So stolz bin ich auf meine 60 Meilen, bis ich auf eine Familie mit einem 12-jährigen Sohn treffe, die das jeden Tag fahren. Die Unterkunft ist super gemütlich und ich kann den Tag bei Kaminfeuer und netter Musik ausklingen lassen.

17. Juli

Invershin – Bettyhill

95 Kilometer

Das heutige Höhenprofil sieht anspruchsvoll aus! Ich mache mir wie immer Sorgen, ob ich das packe – und wie immer werden meine Sorgen unbegründet sein. Auch wenn es ganz knackig los geht, das erste Highlight ist jedoch nicht weit entfernt und lässt mich kurz verschnaufen. Bei den „Falls of Shin“ soll es Lachse geben, die einen kleineren Wasserfall hochspringen, tatsächliche Augenzeugen sind in meiner Familie vorhanden. Die Nacht über hat es geregnet, vielleicht ist der Wasserfall daher stärker als sonst? Ich kann mir zumindest beim besten Willen nicht vorstellen, wie ein Fisch diese kräftigen Strömungen überwinden soll und es ist auch kein Fisch da, der mir das Gegenteil beweist. Ich mache mich auf in die Highlands! Die befürchtete Steigung erweist sich wieder als prima radelbar. Man fährt auf einer sogenannten „Single-Track-Road“, die Straße ist also einspurig es gibt aber immer wieder „Passing-Places“, auf der sich die Fahrzeuge dann vorbeilassen können und viele Autos halten sogar für mich an. In „The Crask Inn“, dem einzigen Gasthaus und generell auch Haus weit und breit mache ich eine Pause, hier werden auch Zimmer vermietet, muss auch schön sein so ohne alles um einen herum. Für mich ist es aber noch viel zu früh. Ich durchquere Altnaharra und der Weg wird immer schöner. Als die Küste wieder erreicht ist, werden die Steigungen immer wieder unterbrochen, aber sie sind auch wesentlich steiler, jetzt heißt es nochmal die Beine zu mobilisieren. Ich bin froh, als ich in Betty Hill ankomme, denn hier gibt es einen Zeltplatz. Die Bewertungen bei google lassen jedoch schon schlimmes befürchten und die schlimmen Erwartungen werden bei weitem übertroffen. Dieser Campingplatz und besonders die sanitären Anlagen würden eine passende Kulisse für einen Horrofilm abgeben. Und auf dem Platz finden sich die Hinterlassenschaften von Schafen, man muss also genau schauen, wo man sein Zelt aufschlägt. Für eine Nacht wird es schon gehen. Was ich noch nicht ahne: Dieser Abend wird der bisher schönste Campingabend für mich werden. Dank der Wohnwagennachbarn Katie und Rodney, die alle zeltenden Anwesenden zu Lagerfeuer und Getränken einladen. 6 Camper verbringen so einen einzigartigen Abend mit Rotwein, Chips und Whiskey auf dem Campingplatz des Grauens.

18. Juli

Bettyhill – Thurso

51 Kilometer

Am Morgen verabschieden sich alle mit Umarmungen und ich mache mich als erste auf den Weg. Die Landschaft ist weiterhin einzigartig und wunderschön, die Steiungen steil und kräftezehrend, das Wetter ideal zum Fahren, auch wenn der Wind heute von vorn kommt. So bin ich im Schneckentempo unterwegs und mache bei jeder Ortschaft eine Pause, aber so viele Ortschaften gibt es hier auch nicht. Bald ist das Atomkraftwerk erreicht, das einen bizarren Anblick in dieser Landschaft bietet. Es soll eigentlich abgeschaltet werden, aber niemand weiß wie. Auch schöne Aussichten, die Geschichte, die ich später dazu von Jon höre, erinnert an den Berliner Flughafen. Nur handelt es sich hier um eine tickende Zeitbombe … Das letzte Stück nach Thurso verändert sich die Landschaft nochmal, es wird wieder flacher und unspektakulärer. Ich fahre nun die letzten Meter auf dem Nordseeküstenradweg und freue mich auf zwei Nächte bei meinem warmshowers-host Jon. Wieder ein Mensch, der mich mit seiner Lebensgeschichte mehr als beeindruckt und den ich nicht vergessen werde.

https://www.innertuba.org.uk/

Ein Kommentar Gib deinen ab

  1. blaupause7 sagt:

    Ach, da werden Erinnerungen an meine Reise 2008 wach, als mein Mann und ich eine Woche auf der Black Isle verbrachten und öfters in Cromarty waren.

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