Finis! La Vélodysée II. Kapitel 10: Nantes – Bordeaux

5. August

Nantes – Saint-Michel-Chef-Chef

73 Kilometer

Der Ruhetag in Nantes war herrlich. In der Stadt gibt es eine grüne Linie auf dem Boden, der man einfach nur folgen muss, um alle wichtigsten Sehenswürdigkeiten abzuklappern. Und nebenbei konnte ich noch Dinge erledigen wie nicht mehr benötigte Sachen in die Heimat schicken und einen dringend benötigten Sonnenhut zu kaufen.

Die Nächte waren leider nicht ganz so erholsam, die Klimaanlage des Hotels ist ausgefallen und es war viel zu warm um tief und fest zu schlafen. Hatte man das Fenster auf, hörte man zudem die vorbeiziehenden alkoholisierten Menschen lautstark auf ihrem Heimweg.

Ich starte trotzdem früh, um der Hitze nachmittags zu entgehen. Bis 14 Uhr geht es meist, danach ist es so aufgeheizt und kühlt erst wieder in den frühen Morgenstunden ab. Rekordsommer fast überall in Europa.

Aus Nantes heraus gibt es zwei Routen, ich folge der auf meinem GPS, die am Hafen entlangführt. Ich vermute mal weniger schön als auf der anderen Seite der Seine, dafür aber kürzer und man hat noch eine Fährüberfahrt mit drin. Vorher passiere ich noch einen herrlichen Markt, wie schade, dass ich mein Proviant für heute schon beisammen habe, das sieht alles sehr verlockend aus. Auf der Fähre beginnt eine Frau mit mir ein Gespräch und ist sehr geduldig mit meinen rudimentären Französichkenntnissen. Sie gibt mir noch einen Tipp für einen netten und günstigen Zeltplatz, den ich einige Tage später dann auch aufsuchen werde. Nach der Fähre geht es an einem Kanal entlang, einige Franzosen haben sich hier zum Angeln postiert. Ich schmeiße wieder mein Hörbuch an, bei Kanälen langweilt es mich einfach. Irgendwann erreicht man dann die sehr breite Loire und deren Mündung ins Meer und die Landschaft verändert sich schlagartig. Die Küste mit den Kiefern und dem klaren Licht erinnert mich schon fast ans Mittelmeer. Pünktlich um 14 Uhr steuere ich einen Campingplatz an. „Nein, zelten könne man hier nicht!“ Meine Frage, warum auf den Schildern dann ein Wohnmobil und ein Zelt abgebildet ist, wird entweder nicht verstanden oder ignoriert. In meiner Welt bedeutete das bislang, dass Zelten möglich ist, aber in Frankreich scheinen andere Regeln zu gelten, die ich noch nicht kenne. Auch beim nächsten Campingplatz ernte ich eine rüde Absage, tschuldigung, dass ich gefragt habe. Ein dritter Campingplatz ist noch in der Nähe, jetzt rufe ich doch sicherheithalber an und bekomme freundlich versichert, dass man noch Plätze habe, na also, geht doch und ich bin erleichtert, bei der Hitze nicht noch in den nächsten Ort fahren zu müssen. Den Abend wartet man dann wieder Stunde um Stunde, dass es kühler wird.

6. August

Saint-Michel-Chef-Chef – Saint Gervais

71 Kilometer

Nach den unerwarteten Schwierigkeiten gestern, hab ich den Abend noch genutzt, um mir einen Campingplatz für heute rauszusuchen und mich dort anzumelden. Blöd nur, dass ich erst hinterher einen genauen Blick auf die Route geworfen und die Kilometer zusammengerechnet habe. Die Luftlinie sah kurz aus, nur ist ein großer Schlenker in der Strecke, den ich nicht bedacht habe und eine Abkürzung ist wegen dem sumpfigen Gelände nicht möglich. So wären es heute 91 Kilometer, bei der Hitze etwas zu großzügig fürchte ich. Schon morgens ist es warm. Aber immerhin hab ich bis zum ersten Ort eine kürzere Variante auf meinem GPS und spare satte 10 Kilometer ein. Nach 20 absolvierten Kilometern ist wieder eine Temperatur von fast 30 Grad erreicht. Der Weg führt interessant an Austernfarmen vorbei, doch Schatten sucht man hier vergebens. Alles steht scheinbar still in der Hitze, die Luft flirrt. Immer wieder muss ich an den gerade gelesenen Roman „Die Geschichte des Wassers“ von Maja Lunde denken. Die Bilder, die ich da im Kopf hatte, sind hier real: gelbes verdorrtes Gras, ausgetrocknete Flussbetten und tiefe Risse in der Erde.

Auf meiner Karte ist noch eine Variante eingezeichnet, die noch ein paar Kilometer einspart. Der Haken: Der Weg führt durchs Meer und ist nur in einem engen Zeitfenster bei Ebbe befahrbar. Obwohl ich schon so das Gefühl habe, dass es nicht klappen wird, versuche ich es. Und leider hat mich mein Gefühl nicht getrogen, der Weg ist erst wieder ab 18:30 Uhr befahrbar. Also Kommando zurück und schauen, welche nächsten Unterkunftmöglichkeiten es gibt. Dabei passiere ich mehrere Orte wo Fleur de Sel gewonnen wird, besonders appetitlich sieht es ehrlich gesagt nicht aus. Im nächsten größeren Ort suche ich die Touri-Info auf, dort bekomme ich den Hinweis auf einen Zeltplatz im Nachbarort, nur 4 Kilometer entfernt, der weder auf meiner Karte noch bei google maps verzeichnet war. Ich freue mich, nicht noch weiter fahren zu müssen und finde dort ein schattiges Plätzchen. Abends gibt es noch einige Aufregung, denn die Besitzerin wird von einem Bernadiner ins Gesicht „gezwickt“. Am nächsten Morgen sieht sie mit dem Bandagen im Gesicht aus wie eine Mumie.

7. August

Saint Gervais – Saint-Gilles-Croix-de-Vie

54 Kilometer

Endlich hab ich mal wieder eine Nacht hinter mir, in der ich einigermaßen gut geschlafen habe. Zwar ist es auch heute warm, aber immerhin bewölkt und die Wettervorhersage sagt für den Abend Abkühlung an. Das trübe Licht sorgt für surreale Stimmung, als ich so über die gelben Felder fahre und es sind nur wenig Menschen unterwegs. Das ändert sich dann aber schlagartig, als ich wieder an der Küste bin, hier wimmelt es von Touristen auf dem Rad, die sich alle über den zwar sandigen aber gut befahrbaren Waldweg schlängeln. Und bei Le-Barre-de-monts könnte der Kontrast zu meinem Tagesbeginn kaum größer sein: Der Küstenabschnitt erinnert eher an einen Rummel, Campingplätze wechseln sich ab mit Aqua-Parks, Fressbuden, Jahrmärkten und einem Zirkus. Dazu herrscht auf der Straße dichter Verkehr. Jedem das Seine, meine Vorstellung von Urlaub sieht definitiv anders aus. Es fühlt sich schon bald wesentlich wärmer an als die vorhergesagten 27 Grad und als ich eine Temperaturanzeige entdecke, sind es auch 30. Ich habe mir wieder ein paar mögliche Campingplätze rausgesucht und heute klappt es sogar beim ersten Versuch. Als ich gerade dabei bin, mein Zelt aufzubauen kommt die Nachbarin von gegenüber mit einem Hammer und einer Flasche kaltem Wassser. Den Hammer brauche ich nicht, die Heringe lassen sich ganz gut mit einem festen Zutreten im Boden versenken, aber das Wasser nehme ich freudestrahlend und sehr dankbar entgegen.

8. August

Saint-Gilles-Croix-de-Vie – Longeville-sur-Mer

76 Kilometer

Die Hitze wurde am Abend und in der Nacht vom Wind mitgenommen, es ist herrlich frisch heute, ganz so wie es sein soll. Und dazu gibt es noch wunderschöne Ausblicke an der Küste. Daneben geht es wieder einigermaßen wellig durch einen Sandweg im Kiefernwald und auch heute sind neben mir Horden von französischen Urlaubern unterwegs. Das ist ganz sicher ein neuer Rekord für mich, so viele Menschen, wie ich heute überhole. In Les-Sables-D’Olonne drängeln sich die Urlauber am Strand. Dafür wird der Streckenabschnitt zwischen Port Bourgenay und Jard-sur-Mer besonders schön. Zunächst passiere ich ein herrlich blühendes Sonnenblumenfeld, dann geht es entlang von kleinen Kanälen und zahlreichen Fischteichen. Als ich in mir in Jard-sur-Mer ein Baguette für mein Abendessen kaufe, ist es lediglich in ein taschentuchgroßes Papierstück in der Mitte eingeschlagen. Meine Bitte nach einer größeren Tüte wird verwehrt. Auch als ich erkläre, dass ich mit dem Rad unterwegs bin und der Weg einfach staubig ist, bekomme ich immer noch keine Türe. Ich krame stattdessen draußen in meinem Gepäck und werde mit zwei Obsttüten fündig. So kann ich das Baguette dann doch auf meine Satteltaschen schnallen.

Inzwischen ist es trotz kühler Temperaturen am Morgen doch wieder einigermaßen warm und in der Sonne erst recht. Ich beschließe also wieder ein Quartier zu suchen und steuere einen Campingplatz an. Man sei komplett, ich könne aber im Garten des Besitzers für nur fünf Euro campieren. Tja, warum nicht. Als ich jedoch mein Zelt in der mir zugewiesenen Boulebahn im Garten aufstelle, bekommen mich doch leise Zweifel, ob das eine gute Entscheidung war. Durch den harten Untergrund lassen sich die Heringe nur 2-3 Zentimeter im Boden befestigen, besonders stabil ist es nicht. Und die Wettervorhersage hat Regen prophezeit. Obwohl ich versuche früh zu schlafen, klappt das nicht, direkt in meinem Rücken befindet sich der Spielplatz und ich weiß nicht, warum die Kinder so brüllen müssen beim Spielen. Irgendwann gegen 0:00 Uhr kehrt endlich Ruhe ein.

9. August

Longeville-sur-Mer – Maron

57 Kilometer

Der versprochene Regen kam dann auch in der Nacht (2:00 Uhr bis 5:00 Uhr) samt Blitz und Donner. Ich hab mich schon mulmig gefühlt, aber das Gewitter war zum Glück weiter weg. Weniger Glück hatte ich mit der Befestigung meines Zeltes, die Heringe am Fußende haben dem kräftigen Regen nicht standgehalten und so musste ich mehrmals nachts raus, um sie notdürtig wieder zu befestigen, damit ich nicht samt Zelt einbreche. Ich bin zwar in den frühen Morgenstunden eingeschlafen, aber viel Schlaf war es nicht, den ich ergattern konnte. Immerhin hat das Wetter tagsüber Einsehen mit meiner schlechten Laune, die Wolken verziehen sich und ich habe sogar Rückenwind, so dass es sich wie von ganz allein und ohne Anstrengung fahren lässt. Nachdem man die überfüllten Küstenorte hinter sich gelassen hat, folgt eine wunderschöne und einsame Landschaft mit vielen Feldern. Heute beende ich die Etappe früh und nutze den Nachmittag, um alles von Nässe und Schmutz zu befreien. Als es abends dämmert, sind die Rufe von Kauz und Eule zu hören und entführen mich sehr schnell in einen erholsamen Schlaf.

10. August

Marans – Rochefort

72 Kilometer

Auch beim Aufwachen höre ich wieder den Kauz und die Eule und in der Ferne das Krähen eines Hahns, viel schöner kann ein Tag nicht starten. Und ich hab endlich meine erste Unterkunft für heute abend über warmshowers gefunden, worüber ich mich sehr freue. Es sind ein paar Zutaten, die zusammenkommen müssen, damit für mich die perfekte Radreise entsteht: Landschaft, Wetter, Weg, Gesundheit, Essen und eben auch Kontakt zu den Menschen. Gerade mit Letzterem hab ich in Frankreich bisher nicht so viel ausrichten können, meine Versuche mit anderen Radlern ins Gespräch zu kommen, scheiterte an meinen mangelnden Französisch- und an deren mangelnden Englischkenntnissen. Und auch bei warmshowers hagelte es nur Absagen, wenn überhaupt eine Antwort erfolgte. Wird sicher auch damit zusammenhängen, dass gerade Urlaubszeit ist. Umso mehr freue ich mich auf die Zusage aus Rochefort. Zunächst geht es aber nach La Rochelle, das sind nur 25 Kilometer. Ich wundere mich schon über die immer schlechter werdende Qualität des Radwegs, da bemerke ich, dass ich mich auf der falschen Seite des Kanals befinde. Das ist dann aber auch schon das Aufregenste am Weg. Nach einer ausgiebigen Frühstückspause in La Rochelle mit Sicht auf die zwei Wehrtüme fahre ich auch weiter. In Chatelaillon Plage ist der Strand wie ausgestorben, ich vermute es liegt am Wind. Als ich von der Route abbiege, um einen Bäcker aufzusuchen, gerate ich mit meinem vollbepackten Rad mitten hinein in reges Markttreiben, hier sind also die ganzen Menschen! Zurück geht nicht, also lass ich mich mit der Masse langsam vorwärts treiben. Als Lohn für die Mühe gibt es dann ein noch ofenwarmes Baguette, das ich direkt am Marktplatz verputze, eins der leckersten, die ich bisher hatte (und die anderen waren auch schon alle großartig!). Die Strecke erweist sich als Ich bin schon wesentlich früher in Rochefort als angenommen, die Strecke ist dann Kilometer kürzer als in meinem Radführer angegeben und ich bin schon früh in Rochefort. Da mich meine Gastgeber heute erst gegen 19 Uhr erwarten, hab ich noch ausreichend Zeit für einen Stadtbummel. Aber erstmal geht es ins Touri-Büro, wo ich mir einen Zeltplatz für den morgigen Abend reserviere. Vorher hab ich bereits selbst diverse Campingplätze angeschrieben, es gibt zwar zahlreiche Möglichkeiten, doch viele Plätze verweigern eine Übernachtung für nur eine Nacht oder haben es nicht so mit den Radfahrern. Dann geht es erst durch die Innenstadt und schließlich Richtung Hafen. Auf einem nachgebauten Piratenschiff ist ein Klettergarten für Kinder errichtet und es macht Spaß, dem Treiben dort zuzusehen. Und dann geht es zu meinen Gastgebern, einer sehr bezaubernden Familie mit zwei Kindern und einem Hund namens „Bon homme“. Der sechsjährige Emile ist so goldig und erobert direkt mein Herz. Meine Gastgeber haben selbst noch keine einzige Radtour unternommen, finden aber das Prinzip von warmshowers klasse und ich bin sogar der allererste Gast, da hab ich aber Glück gehabt! Wegen mangelnder Französischkenntnisse meinerseits und mangelnder Englischkenntnisse meiner Gastgeber unterhält man sich eher mit sehr kurzen Sätzen, Gesten und Blicken, aber dass man sich sympathisch ist, merkt man auch so.

11. August

Rochefort – La Palmyre

69 Kilometer

Nach einem gemeinsamen Frühstück mit der Familie mache ich mich bei bestem Wetter auf den Weg. Schneckenspuren glitzern in der Sonne. Der Abend war echt schön und ich merke, dass der Kontakt zu den Menschen ein wichtiger Bestandteil meiner Reise ist. Ohne diese Begegnungen fehlt mir einfach was. Die Route heute beschreibt zunächst einen großen östlichen Bogen. Es wäre auch ein direkterer Weg mit einer Fährüberfahrt möglich gewesen, aber ich mag ja auch ein paar Kilometer sammeln. Nachdem man lange an einer Hauptstraße unterwegs ist, wird es irgendwann ruhiger und grüner und dann ist man mal wieder an einem Kanal unterwegs. Bald wird es aber so schön, dass ich die Gelegenheit zu einer zweiten Frühstückspause nutze. Das ist auch gut so, denn als es wieder Richtung Küste geht, staut sich der Verkehr und ich merke, wie touristisch es nun wird. Hinter Marennes passiert man eine Brücke, zum Glück gibt es eine separate Radspur, in dem dichten Verkehr wäre ich ungern auf der Autospur unterwegs. Nun folgen sehr touristische Orte, gern mit Riesenrad und Rummel aber eben auch mit Kiefernwald und Leuchtturm und bald erreiche ich schon meinen heutigen Zielort. Dass es touristisch werden würde, darauf hab ich mich eingestellt und so zahlen ich saftige 34,50 Euro für meinen Zeltplatz auf einer großen Anlage. Doch für den Preis bekommt man weder besonders gepflegte sanitäre Anlagen noch eine besondere Ausstattung. Und meinen Campingkocher kann ich auch nicht benutzen, da offenes Feuer auf dem gesamten Gelände verboten ist. Das alles steigert meine Laune nicht unbedingt und ich merke, dass ich immer mehr das Ende der Reise herbeisehne.

12. August

La Palmyre – Nanjac-sur-mer

79 Kilometer

Die Nacht habe ich mäßig geschlafen, morgens bieten die Toiletten keinen schönen Anblick und ich bin froh, als ich wieder auf meinem Rad unterwegs bin um La Palmyre zu verlassen. Wenn ich schnell starten will, schaffe ich es inzwischen sogar, meine Sachen in unter einer Stunde zusammenzupacken. Es geht an der Küste entlang, viele Menschen sind noch nicht unterwegs und der Strand wirkt so friedlich im Morgenlicht. Kurz vor Royan kaufe ich mir beim Bäcker zwei Madeleines, die ich direkt auf einer Bank mit Meeresblick verputze. Im Baguette finde ich die Schale einer Muschel, keine Ahnung, wie die es dorthin geschafft hat. Hinter Royan muss man eine Fähre nehmen und es wartet eine etwas größere Menschenansammlung. Auf meine Frage, ob sie auf das Schiff wollen, stellt sich heraus, dass ihnen die 10. Person für ein Gruppenticket fehlt, da opfere ich mich doch gern, zudem wir uns schon in der Schlange nett unterhalten und auf der Fähre noch gemeinsam einen Kaffee trinken. Die Gruppe besteht aus einer Familie mit erwachsenen Kindern und Freunden, sie machen Urlaub und schwärmen vom Strand auf der anderen Seite, dort sei es herrlich ruhig. Ich bekomme außerdem noch ein paar Hintergrundinformationen geliefert, zum Beispiel, dass der Leuchtturm von Cordouan, den wir mit dem Schiff passieren, der älteste in Frankreich ist. Auf der Fähre sind Horden von Radfahrern, ich trenne mich kurz darauf von „meiner“ Gruppe und begebe mich hinein ins Radgetümmel. Es wird munter überholt, bis jeder auf der ihm angemessenen Position ist. Einigen Radlern sieht man sehr deutlich an, dass sie nicht oft auf dem Sattel sitzen. Die Temperaturen steigen stetig, bleiben aber so um die 28 Grad. Ich entscheide mich daher noch ein paar Kilometer zu fahren, damit ich am nächsten Tag Bordeaux erreichen kann (hatte ich erwähnt, dass ich mich wirklich auf das Ende der Reise freue?). In einem Café recherchiere ich die nächsten möglichen Campingplätze. Bei meinem Anruf zögert die Frau sehr deutlich, als ich sage, dass ich nur eine Nacht bleiben möchte, lässt sich dann aber doch erweichen, als ich verzweifelt hinterherschiebe, dass ich mit dem Rad unterwegs bin. Und ich bin ganz froh, nicht noch weiter fahren zu müssen, die Sonne schlaucht auch bei 28 Grad. Der Platz liegt nicht direkt an der Radroute und ist nur über eine Bundesstraße ohne Radweg erreichbar. Dafür werde ich aber mit dem bislang charmantesten und gepflegtesten Campingplatz in Frankreich bisher belohnt und heute darf ich auch wieder meinen Kocher benutzen, um meine letzten Vorräte zu verbrauchen.

13. August

Nanjac-sur-mer – Bordeaux

101 Kilometer

Für heute ist Regen angesagt, in der Nacht hat es schon ein wenig getröpfelt, doch von weiterem Regen bislang keine Spur. Heute bin ich schon sehr früh wach und packe daher in aller Ruhe und vielleicht auch ein wenig achtsamer (um mal ein Modewort zu benutzen) als sonst zusammen. Noch habe ich mich nicht endgültig entschieden, ob ich die Tour nach Bordeaux fortsetzen soll. Die Idee war, den Canal du midi zu fahren und schließlich noch ein Stück am Mittelmeer. Es gibt aber viele „ABERS“ in meinem Kopf, so beispielsweise, dass die Kanalroute am Beginn der Velodysee mir überhaupt nicht gefallen hat, dass sich die Franzosen bisher nicht als besonders gastfreundlich zeigen und dass die Eurovelo Strecke am Mittelmeer nicht sehr gut ausgebaut ist und ich keine wirklich überzeugenden Erfahrungsberichte finde, die mir Lust machen. Entscheiden werde ich aber später, heute geht es erstmal Richtung Bordeaux, wo ich drei Tage entspanne, bevor es dann erstmal wieder nach Deutschland geht. Bis zum nächsten Ort Hourtin gibt es keine andere Möglichkeit als die stark befahrene Bundesstraße zu nehmen, von der ich ja gestern schon einen kleinen Vorgeschmack hatte. Um mein Sicherheitsbedürfnis zu befriedigen, ziehe ich die ganz unten liegende gelbe Warnweste aus meinem Gepäck, um sie mir überzuziehen. Bereits nach wenigen Metern auf der Straße liegt rechterhand ein tot gefahrenes Wildschwein, kein schöner Anblick. Es folgen ein Reh und ein weiteres Wildschwein, ebenfalls tot gefahren und ich bin froh, als es nach acht Kilometern wieder einen Radweg gibt. Der Rest der Strecke ist wenig spektakulär, es gibt eine extra angelegte Fahrradschnellroute direkt nach Bordeauxx fernab von Hauptstraßen, die immer schnurstracks geradeaus führt und auch ich bin sehr flott unterwegs. Vom Regen bleibe ich ebenfalls verschont und erreiche bereits gegen 14 Uhr Bordeaux. Da meine Unterkunft noch nicht bezugsbereit ist, unternehme ich noch eine kleine Stadtrundfahrt, dank derer ich dann auch endlich mal einen dreistelligen Kilometerstand erreiche. Die Stadt nimmt mich sofort gefangen, dass es so wunderschön ist, damit habe ich nicht gerechnet. Ich fahre noch zum Bahnhof, um mir meine Heimreise zu organisieren. Die Deutsche Bahn spuckt mir 1. keine Verbindung von Bordeaux aus aus und schickt mich 2. von Paris aus in über 30 Stunden mit 14 x umsteigen nach Braunschweig. Klingt nicht verlockend! Aber es gibt eine sehr attraktive Alternative, mit dem TGV in knapp zwei Stunden nach Paris und von dort geht es mit dem Flixbus zwar über Nacht aber immerhin direkt und mit Radtransport und zu einem unschlagbaren Preis nach Braunschweig.

Die restlichen drei Tage schlendere ich durch Bordeaux, unbedingt zu empfehlen sind die Canelés de Bordeaux. Mega leckere kleine Küchlein, von denen so einige in meinem Magen verschwinden. Und in Bordeaux entdecke ich zahlreiche nette Plätze, die zum entspannten Kaffee einladen. Die Heimfahrt nach Braunschweig klappt auch prima, zwar ist mir im TGV nicht so klar, wo das Rad hinsoll, aber die Schaffner haben gegen meine Lösung im Behindertenabteil nichts einzuwenden, und ich bleibe einfach neben meinem Rad im Abteil der 1. Klasse sitzen. In Paris kann ich den Tag rund um Notre Dame verbummeln, bis die Suche nach dem Flix-Bahnhof in Bercy losgeht. Dazu muss man durch einen Park und über einen Platz mit Gymnastikgeräten, bis man den Eingang in die Unterführung entdeckt, wo die Flixbusse starten. Mein Rad und Gepäck werden anstandslos verstaut und am nächsten Tag in Braunschweig wieder abgeladen. Dort verbringe ich dann zwei entspannte Wochen, bevor ich mich nach Berlin aufmache und meine Wohnung wieder in Empfang nehmen kann. Erwähnenswert ist dann wohl die Rückreise von Braunschweig nach Berlin: Meinen Anschluss in Magdeburg verpasse ich, 9 Minuten zum Umsteigen sind bei ein paar Minuten Verspätung und einem defekten Fahrstuhl mit vollbepackten Rad einfach nicht machbar. Eine Stunde später fährt aber schon der nächste Zug nach Berlin. Doch der bleibt dann in Brandenburg stehen, Personenschaden auf der Strecke. In Brandenburg selbst sind die Fahrstühle so klein, dass das Rad hochkant verstaut werden muss, ein kleiner Kraftakt für mich, an den mich noch einige blaue Flecken die nächsten Tage erinnern werden. Auskunft gibt einem Niemand, der Info-Point der Bahn ist so überfüllt, dass dort kein Durchkommen ist. Mitradler haben sich bereits für eine Alternative in über einer Stunde über Rathenow entschieden. Da weder Bahn- noch Busverkehr Richtung Berlin gehen, nehme auch ich den Umweg in Kauf und bin statt 15 Uhr irgendwann gegen halb sieben am Haupt- statt am Ostbahnhof.

Und Berlin empfängt mich sehr herzlich, ein Essen mit Freunden ist schon für den nächsten Tag geplant und die Entscheidung nicht mehr weiterzuziehen ist irgendwie schon gefallen. Ich bin noch so voller Eindrücke, Begegnungen und neuen Erfahrungen, dass ich mich pappsatt fühle und es mich gerade nirgendwo hinzieht. Zudem sehne ich mich nach einer entspannte Zeit in Berlin in meiner gewohnten Umgebung und nach meinen Freunden. Und in Brandenburg gibt es ja auch noch genügend unerforschtes Terrain, falls die Hummeln im Hintern wieder auftauchen sollten. Doch danach sieht es derzeit noch lange nicht aus!

2 Kommentare Gib deinen ab

  1. Takeshi sagt:

    Hallo Steffi, es liest sich so, als sei Frankreich nicht unbedingt Dein liebster Abschnitt der Reise geworden. Das finde ich ein bißchen schade, ich erlebe die Menschen dort immer sehr Radler-freundlich, aber vielleicht ist das in den stärker frequentierten Gegenden und im Hochsommer anders… Mir hat es sehr viel Spaß gemacht, Deine Reise zu verfolgen, danke fürs Berichten und die Fotos! Den schönen Ausdruck „an den Berg schmiegen“ werde ich sicher noch zitieren 😉
    Hab‘ eine gute Eingewöhnung zurück im Alltag und alles Liebe!

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    1. Liebe Takeshi, vielen Dank für deine Worte! Ja, ich habe gemerkt, ich bin eher Schweden als Frankreich, eher Schottland als Italien und eher Nordsee als Atlantik. Dafür ist eine Reise ja auch gut 🙂

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