La Vélodysée I. Kapitel 9: Roscoff – Nantes

29. Juni

Anreise nach Roscoff

Mit dem Zug bin ich in den Süden von England gefahren, das war alles sehr entspannt, hier gibt es zwar nur sehr wenig Plätze die man vor der Fahrt reservieren muss, aber obwohl gerade Hochsaison ist, sind nur wenig Fahrräder mit auf Reisen. Ich übernachte in Plymouth, um die Fähre am nächsten Morgen zu bekommen. Das Wetter war gestern schon stürmisch, aber das ist kein Vergleich zu heute: Es schüttet wie aus Eimern und ich muss zwar nur 15 Minuten zum Hafen fahren, aber der Wind ist so stark, dass es mich fast vom Rad weht. Ich muss lachen, wenn es an Land schon so stürmt ist, wie soll es dann erst auf dem Schiff werden? Beim einchecken bin ich die erste Raderin und werde vorgelassen, damit ich vor Wind und Regen einigermaßen geschützt in einem kleinen Warthäuschen Unterschlupf finde. Denn noch wird die Fähre entladen. In der Zwischenzeit treffen drei weitere Radler ein, ein Pärchen aus Wales und ein Ire. Da für alle schon die Fahrt zum Hafen ein Abenteuer war, fühlt man sich direkt verbrüdert. Wir dürfen dann auch als erste aufs Schiff und sichern uns die besten Plätze. Noch geht das Geschunkel, aber wir liegen ja auch einigermaßen geschützt im Hafen. Erstmal frühstücken, dafür hatte ich weder Ruhe noch Zeit. Als es dann losgeht, schaukelt es ordentlich. Nach anfänglichem Gejuchze sind bald um einen herum andere Geräusche zu hören und das Accessoire des Tages sind weiße Papiertüten. Ich mache mein Hörbuch lauter und vergrabe meine Nase tief in meine frischgewaschene Fleecejacke. Zum Glück werde ich – wie auch die anderen Radler – nicht seekrank und ich bedauere die grünen Gesichter um mich herum. Als es irgenwann ruhiger wird, wage ich einen Rundgang, der ist aber auch nicht sehr erbaulich. Es hat mindestens die Hälfte der Passagiere erwischt und viele leiden noch immer. Wegen der widrigen Wetterumtände kommen wir mit einer Stunde Verspätung in Roscoff an und die Radlergemeinschaft verschwindet in unterschiedliche Himmelsrichtungen. Ich suche meine Unterkunft auf, die doch ein Stückchen entfernt von Roscoff liegt. Obwohl ich mich für 17 Uhr angekündigt habe, ist niemand da, doch die Tür ist zum Glück offen, denn es stürmt und regnet weiterhin. Aha auch nach einiger Wartezeit niemand auftaucht, rufe ich an, das Telefon klingelt auch, wie ich hören kann, aber es ist ja niemand da, der rangehen könnte. Bei meiner Inspektion stelle ich fest, dass eine Zimmertür offen steht. Als dann auch niemand auf meine mail reagiert, beziehe ich einfach das Zimmer, ich bin kaputt und ich mag gern unter die Dusche, nach dieser „lustigen“ Seefahrt. Als meine Wirtin dann über anderthalb Stunde später das Zimmer betritt, erschrickt sie ordentlich, da ich schon mit Sack und Pack eingezogen bin. Sie sei im Nachbarhaus gewesen und hätte gedacht, ich reise mit dem Auto an. Ich darf feststellen, dass es ganz gut ist, noch über ein paar rudimentäre Französischkenntnisse zu verfügen, denn mit Englisch ist hier nix zu machen. Das Abendessen gibt es in einem Bistro im Nachbarort, Galette und Cidre.

30. Juni

Roscoff – Carhaix-Plaguer

89 Kilometer

Als ich in Roscoff einfahre, liegt auf der Straße eine frisch überfahrene Katze, kein schöner Anblick und ich hoffe auch kein schlechtes Omen. Das Wetter zumindest hat sich etwas beruhigt, es windet noch immer ordentlich, aber es regnet zum Glück nicht mehr. Erstmal gibt es für mir Frühstück: Tee, Croissant und Meeresblick. Dann suche ich die Touri-Info auf und verlasse diese mit einem Radführer der „Velodysee“. Der Track befindet sich auch auf meinem Garmin, worüber ich sehr froh bin, sich hier auf die Schilder verlassen zu wollen, bietet bestimmt Frustrationspotential, denn bei vielen Abzweigungen fehlt ein Hinweis. Ich wundere mich schon, dass Kartenblatt für Kartenblatt nur so dahin rauscht, stelle dann aber bei meiner ersten Pause in Morlaix fest, dass der Radführer nur einen Teil der Route abbildet und in Nantes aufhört. Darauf habe ich beim Kauf nicht geachtet. Hinter Morlaix fährt man auf einer alten Bahntrasse durch den Nationalpark D’Amorique. Sehen tut man von der Landschaft allerdings wegen der Bäume links und rechts wenig, dafür tauchen immer mal wieder alte Bahnhäuschen auf. Die Landschaft fällt dann im direkten Vergleich zu Schottland sehr unspektakulär aus und ich ergebe mich meinen vorbeiziehenden Gedanken. In Carhaix kann ich mein Zelt für einen sehr günstigen Preis aufschlagen, begleitet von der Musik eines Akordeonspielers.

31. Juni

Carhaix-Ploguer – Mur de Bretagne

70 Kilometer

Morgens verschlafe ich doch glatt und wache erst kurz nach acht auf. Da das Wasser aus der Leitung hier grauselig nach Chlor schmeckt, kaufe ich mir am Cafe noch einen Tee, bevor ich mich auf die heutige Etappe begebe. Bald erreicht man dann auch den Kanal, der von Brest nach Nantes führt und bis Nantes steter Begleiter werden wird. Von der Fahrt gibt es dann auch wenig spektakuläres zu bereichten, einzige Abwechslung besteht darin, hin und wieder die Kanalseite zu wechseln. Ich sichte zwar noch einen Biber, der aber direkt wieder abtaucht, als ich ein Foto machen möchte. In Mur de Bretagne suche ich wie zahlreiche anderer Radler auch den Campingplatz auf, doch die Rezeption hat noch zu und man muss sich gedulden. Auch als sie auf ist, ist weiterhin Geduld gefragt. Bis ein Gast seinen Platz bekommt, vergehen geschlagene 15 Minuten und vor mir stehen noch ein paar andere. Konversationen mit den anderen Radlern erübrigen sich für mich leider aufgrund meiner mangelnden Französischkenntnisse, denn die meisten können auch kein Englisch. Später stelle ich fest, dass nirgends Klopapier vorhanden ist, man es aber an der Rezeption kaufen kann. Zum Glück ist die Schlange inzwischen abgearbeitet worden. Auf meine Frage, ob das in Frankreich üblich sei, dass es kein Klopapier gibt, sagt die Dame mir, ja, jeder laufe hier auf den Campingplätzen mit seiner Rolle herum. Nun denn, ich jetzt eben auch. Mir bleibt dennoch ein Gedanke im Kopf, der so nie bei Asterix vorkam: „Die spinnen doch, die Franzosen.“

1. August

Carhaix-Ploguer – Josselin

82 Kilometer

Die Nacht habe ich nur mittelmäßig geschlafen und morgens ist alles vom Tau pitschnass, keine Chance, da irgendwas trocken zu bekommen. Nach meinen üblichen anderthalb Stunden bis alles erledigt und abfahrbereit ist, geht es los, den strahlende blauen Himmel über mir, frischer Luft und den schon bekannten Kanal, der im klaren Licht des Morgens das ein oder andere schöne Fotomotiv bietet. Im Laufe der letzten Tage sind genug Gedanken in meinem Kopf vorbeigezogen und damit ich vor Langeweile nicht vom Rad und dann womöglich in den Kanal falle, greife ich zum ersten Mal zu unterhaltenden Maßnahme und stöpsel mir Kopfhörer ein, um mein Hörbuch weiterzuhören, was mich ins schottische Hochland entführt. Josselin ist wiederum sehr sehenswert, eine mächtige Burg thront schon von weitem und auch die Gassen der Altstadt sind sehr nett. Mich befallen leider plötzliche und starke Kopfschmerzen, doch zum Glück ist der Campingplatz bald erreicht. Und es gibt hier auch Klopapier.

2. August

Josselin – Guenrouet

88 Kilometer

Ich habe bestimmt 10 Stunden geschlafen und der Kopfschmerz ist nur noch dumpf irgendwo hinten im Kopf zu spüren. Wieder muss das Zelt nass verstaut werden. Ich werde es heute auf jeden Fall enstpannt angehen lassen und schauen, wie weit ich komme. Es wird wärmer und wärmer. Doch davon ist am Morgen noch nicht so viel zu spüren, außerdem fährt man auch immer wieder im Schatten von Bäumen. Auch heute sorge ich mit Kopfhörern in Ohr wieder für etwas mehr Abwechlsung entlang des Kanals. Im Laufe des Tages verflüchtigen sich die Kopfschmerzen vollständig und ich beschließe nach einer späten Mittagspause in Redon doch noch die letzten 20 Kilometer bis Josselin in Angriff zu nehmen, auch wenn es jetzt bestimmt um die 30 Grad hat. Kurz darauf bekomme ich radelnde Gesellschaft von Dayne aus Großbritannien. Er ist 35, hat alles hinter sich gelassen und befindet sich sehr eindeutig auf einem Selbstfindungstrip. Er erzählt mir von seinem Erweckungserlebnis in St. Michel, wo er die allumfassende Liebe des Universums gespürt habe. Alles, was ich so von mir gebe, findet er entweder großartig oder zum Brüllen komisch. Zweimal begegnen wir einem Paar Hunde, von einem Besitzer weit und breit keine Spur. Ob das hier wilde Hunde sind? Ich bin zumindest sehr froh, gerade nicht allein zu sein, doch die Hunde lassen und sehr friedlich passsieren. Bald ist dann auch mein Ziel erreicht, während Dayne noch weiterradelt. Heute dauert es lange, bis es sich so weit abekühlt hat, dass ich mich ins Zelt verkriechen kann.

3. August

Guenrouet – Nantes

85 Kilometer

Trotz Hitze hab ich prima geschlafen. Ich habe auch einen neuen Trick raus, damit damit der Daunenschlafsack nicht so warm ist, es hilft paradoxerweise lange Kleidung anzuziehen, denn dann nehmen die Daumen nicht so viel von der Körperwärme auf und geben weniger Wärme ab. Und heute kann das Zelt dann auch trocken eingepackt werden. Ein paar andere Radler sind hier auch unterwegs, aber bei weitem nicht mehr so viele wie noch zu Beginn der Strecke. Ich mache mich als erste auf den Weg, denn für heute sind Temperaturen über 30 Grad angesagt, da ist es ratsam, das meiste am Vormittag hinter sich zu bringen. Inzwischen hab ich die Monotonie des Kanals schon fast liebgewonnen, zumindest gibt es heute kein Hörbuch. Ein Vogel auf einem toten Baum ist gerade mit seiner Morgentoilette beschäftigt und ich schaue ihm ein Weilchen dabei zu. In Blain verlasse ich die Strecke, um meine Wasservorräte und sonstiges Proviant aufzustocken. Das ist ein Nachteil an der Strecke, da man immer nur am Kanal langfährt passiert man die Ortschaften oft nur am Rand und Supermärkte muss man gezielt aufsuchen. Ich genieße aber auch die Vorteile, es geht immer eben und gradlinig und so schafft man trotz der hohen Temperatuen doch mehr an Strecke, als anfangs angenommen. Nach der Mittagspause wäre der einzige Zeltplatz vor Nantes nah, zu nah, entscheide ich und fahre weiter. Mit meinen Anfragen über warmshowers hatte ich in Frankreich bislang keine Erfolge erzielen können, was ich wirklich schade finde. Es ist immer so viel schöner, mit den Menschen vor Ort in Kontakt zu kommen. Das gestaltet sich in Frankreich irgendwie wesentlich holpriger als bislang auf meiner Reise. Sollte sich entlang des Wege noch eine andere Unterkunft anbieten, nehme ich die! In Sucre-sur-Erde suche ich die Touri-Info vergebens, stoße aber zum Glück auf eine kürzere Variante der Strecke, die mir zwei große Bögen erspart. Jetzt will ich es auch bis Nantes schaffen, obwohl die 30 Grad jetzt längst überschritten sind (36 Grad). Bald taucht ein Schild auf, zum ersten Mal überhaupt entdecke ich dort statt Kilometerangaben Minutenangaben, noch 30 Minuten bis Nantes, na also! Den Gedanken, wo in Nantes, schiebe ich beiseite und quäle mich schwitzend und staubig Kilometer für Kilometer vorwärts – hin und wieder angefeuert von Passanten. Während einer Verschnaufpause suche ich mir auch schon ein schickes Hotel und freue mich auf einen Ruhetag. Als ich den Ortseingang nach ca. 40 Minuten erreicht habe, sind es dann doch noch 26 Minuten bis ins Zentrum. Endlich am Hotel angekommen, schüttelt die Dame an der Rezeption bedauernd den Kopf. Ich weise auf die Verfügbarkeit in einem Internetportal hin, aber nein, man sei komplett ausgebucht, morgen sei wieder was frei. Ich erinnere mich an den Hinweis des irischen Radlers auf der Fähre. Er sagte, dass einige französichen Hotels keine Radler mögen und so tun, als wäre man ausgebucht, sobald man seinen Helm abnimmt. Ich versuche vor den Augen der Rezeptionistin online zu buchen und hab nur zwei Minuten später die Bestätigung und bekomme so auch mein Zimmer. Angeblich sei da ein Fehler im System, so so. Dafür bekomme ich aber immerhin einen sicheren Stellplatz für mein Fahrrad. Und als ich abends durch die Innenstadt von Nantes schlendere, nimmt mich die Stadt sofort gefangen, wunderschöne Gebäude, zahlreiche Restaurants und Cafes und ich freue mich auf einen weiteren entspannten Tag hier.

2 Kommentare Gib deinen ab

  1. Matthias Brandt sagt:

    Wieder ein wunderbarer Bericht, herrliche Bilder…Macht Lust…geniess Frankreich, auch wenn manches vielleicht etwas holpert
    Gruss Matthias

    Gefällt 1 Person

    1. Lieber Matthias, vielen Dank! Auch manches holpert, der Weg zumindest ist eben 😉

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