10. Juni
Horlen – Vigeland
58 Kilometer
Die Nacht habe super geschlafen, das könnte allerdings auch mit den Ceterizin-Tabletten zusammenhängen, die ich mir alle paar Tage einwerfe, wenn mein Heuschnupfen sich bemerkbar macht. Die Strecke heute ist umwerfend schön und es geht “hyggelig“ durch die Landschaft. Nach kurzer Zeit bekomme ich Begleitung von Gabriel aus Belgien. Er ist von zu Hause gestartet und möchte zum Nordkap. Ich sage ihm direkt, dass ich sehr langsam unterwegs bin und es ihm freisteht, weiterzuziehen. Nichts destro trotz ziehe ich mein Tempo ein wenig an, alleine würde ich mir noch mehr Zeit lassen. Unterhaltungen sind dann auch nur auf den wenigen ebenen Strecken möglich. Die Hügel nehmen und nehmen kein Ende und so langsam lässt die Kraft in meinen Beinen nach. Zeit für eine Pause, die wir an einem Steg verbringen. Zurück auf dem Rad stellt Gabriel dann nach ein paar Kilometern fest, dass er einen Radhandschuh verloren hat, er hatte ihn auf den Satteltaschen liegen lassen. Er dreht um und bittet mich weiterzufahren, denn er holt mich eh wieder ein. Ich entschleunige sogleich und erreiche Mandal. Direkt am Ortseingang ist ein Supermarkt, da Gabriel auch knapp am Proviant war, wird er sicher nachkommen. In aller Ruhe kaufe ich ein und wundere mich, dass von Gabriel weiterhin nix zu sehen ist. Als ich weiter durch den Ort fahre, entdecke ich ihn, wie er gerade aus einem Bäcker kommt, dann können wir den Weg ja noch ein Stück gemeinsam fortsetzen. Ich bin ja inzwischen geübt, Schotterpisten zu umfahren und habe das auch für die folgende vor. Doch die Alternative ist leider die E39, eine stark befahrene Straße und wie ich später erfahre auch für Radfahrer verboten. Die andere Alternative beschreibt einen großen Bogen und in diesem Gelände lässt sich schwer abschätzen, wie viel Höhenmeter die Umgehung bereit halten würde. Also wohl doch Schotter. Gabriel sagt noch, dass er solche Wege ganz gerne fährt. Direkt beim ersten Anstieg muss ich schon passen, absteigen und schieben. Auch Gabriel schafft es nicht immer im Sattel zu bleiben, zu lose und sandig ist der Untergrund, da hat man kaum Halt. Richtige Pausen sind auch nicht möglich, da die zahlreichen Mücken sich in Scharen auf einen stürzen. Bleiben also nur ganz kurze Verschnaufpausen und Gabriel versucht mir durch ein paar Tipps und Anfeuerungen die Anstrengungen zu erleichtern. Trotzdem ist der Weg kräftezehrend und ich sehe mich in meiner Abneigung gegen Schotterpisten bestätigt. Gabriel hat auch so seine Probleme und um mich aufzuheitern kann ich ihn immerhin aufziehen: „Aber du magst solche Wege ja!“
Auch für heute hab ich mir bereits einen Campingplatz ausgeguckt und bin schon bald am Ziel. Inzwischen fängt es an zu nieseln und wir legen noch eine letzte gemeinsame Pause ein, bevor Gabriel weiterfährt. Ein paar Kilometer habe ich noch vor mir, in denen der R egen immer stärker wird. Auch heute entscheide ich mich für eine Übernachtung im Zelt, das erstmals im Regen aufgebaut wird. Aber es gibt eine große Küche, sogar mit Wasserkocher. Doch als ich mich auf einen heißen Kaffee freue, geht nix mehr. Von einer jungen Frau erfahre ich, dass auf dem ganzen Platz der Strom ausgefallen sei. Also warten und Tee trinken, ach nee, dass geht ja auch nicht … Irgendwann ist der Strom wieder da und ich kann mir endlich meinen Kaffee machen. Gegen 17 Uhr kommt noch eine ganze Karavane von Wohnmobilen, die mit der heutigen Fähre in Kristiansand angekommen sind. Abends komme ich mit einer kleinen Familie ins Gespräch und es stellt sich heraus, dass wir in Berlin nicht mal 300 Meter entfernt wohnen.
11. Juni
Vigeland – Lyngdal
41 Kilometer
Mein Zelt ist trotz des Regens trocken geblieben, immerhin. Allerdings hat es die Nacht ordentlich gestürmt, sodass ich kaum geschlafen habe. Zu laut war es in Zelt. Morgens regnet es noch immer, laut Wetter-App sollte sich das aber innerhalb der nächsten Stunden erledigen. Also koche ich mir noch einen Tee und warte in der Küche darauf, dass es aufhört. Gegen 11 Uhr wage ich mich raus. Heute habe ich keinen guten Tag, ich bin grummelig, habe keine Lust und dann folgt da noch dieser Berg mit einem sehr steilen Anstieg. Während ich mich mühsam raufquäle und alle paar Meter wieder anhalten muss, um meinen Puls zu beruhigen, fährt ein vergnügtes Pärchen in passendem Radleroutfit den Berg aus Spaß (!!!) dreimal hoch und runter. Leider nimmt keiner mein Angebot „Do you need some luggage?“ wahr. Ich hab heute schnell meine 500+ Höhenmeter zusammen und entscheide mich auch wegen der doofen Nacht für eine kurze Etappe. Kurz hinter Lyngdal suche ich den Campingplatz an einer stark befahrenen Straße auf. Doch weiter hinten folgt ein Streifen Kiefernwald und da hinter gibt es einen wunderbaren Strand, der heute komplett einsam und wie nur für mich da liegt. Ich fühle mich ein wenig versöhnter. Leider finde ich in der Küche keine Kochgelegenheit vor, nur zwei Spülen. Egal, dann versuche ich es eben mit dem Spiritus. Ich stelle mein Kochgeschirr auf dem asphatierten Weg auf, nehme ein wenig Spiritus und fülle es in den Behälter. Als ich zwei Streichhölzer angezündet habe, scheint immer noch nix zu brennen und ich fülle mit der Flasche Spiritus nach. Doofe Idee, da war wohl eine Flamme, die ich Dösbattel nur in dem sonnigen Licht nicht gesehen habe, denn jetzt fängt die Spiritusflasche Feuer. Ich lasse sie auf dem Asphalt fallen und die Flamme geht fast einen Meter hoch, zum Glück fängt die Hecke noch kein Feuer. Auf meine Hilferufe reagiert niemand, in der Küche finde ich keinen Feuerlöscher und als ich ein benachbartes Wohnmobil um Hilfe bitte, reagiert der Mann sehr gelassen „Ich würd es mal mit Wasser probieren“. Ich wiederum hab keine Ahnung, was mit der Flamme passiert, wenn ich da jetzt Wasser drauf schütte, geschweige, dass ich einen passenden Behälter hätte zum löschen der Flamme hätte. Es ist absehbar, dass die Flasche noch eine Weile brennen wird und ich hab zu sehr Angst, dass nach dieser Trockenperiode in Norwegen irgendwas hier Feuer fängt. Ich renne also nochmal zu dem Wohnmobil und bitte darum, dass jemand Hilfe ruft. Da bequemt sich endlich der Mann, füllt einen 5 Liter Eimer mit Wasser und schüttet es über die Flammen, ich unterstütze so gut ich kann mit meine 0,5 Liter-Trinkflaschen. Mit zwei großen Eimern und 3 meiner Flaschen ist das Feuer aus. Mir ist schlecht, ich hab zittrige Beine und es geht mir ganz elend, wie doof kann man sein? Ich glaube, das soeben war die allergrößte Dummheit, die ich je in meinem Leben begangen habe und ich kann nicht anders, als mir auszumalen, was alles hätte passieren können. Obwohl ich hundemüde bin, fällt es mir schwer, in den Schlaf zu finden. Ich bin mir nicht sicher, ob die Entscheidung weiterzufahren wirklich die richtige war.
12. Juni
Lyngdal – Apla
61 Kilometer
Obwohl ich auch diese Nacht schlecht geschlafen habe, breche ich heute sehr früh auf. Ich will diesen Ort des Schreckens nur noch schnell ver- und hinter mir lassen. Außerdem steht heute eine knackige Etappe mit einigen Anstiegen und Schotterwegen an, die sich nicht umfahren lassen. Mit immer noch schlechter Laune mache ich mich auf den Weg, nicht auf die ausgewiesene Route, sondern die Straße 43 am Lyngdalsfjorden entlang, die dann aber auf den Nordseeküstenweg trifft. Leider gibt es ziemlich viel Verkehr und. Als ich in einem Tunnel angehupt werde, flüchte ich mich mit wackeligen Beinen auf den holprigen erhöhten Streifen am Rand und setze den Weg dort fort. Was mache ich hier eigentlich??? Sollte ich vielleicht wirklich lieber umdrehen und zurück nach Kristiansand? Diese Etappe mache ich noch, und dann entscheide ich mich, denke ich. Der nächste und deutlich längere Tunnel lässt sich zum Glück mit einem separaten Radweg umfahren und nach 15 Kilometern führt die Route auf sehr viel ruhigeren Wegen entlang der Küste. Und auch ich komme wieder mehr zur Ruhe, genieße die flache Strecke auch bei Gegenwind und es geht mir von Kilometer zu Kilometer besser. Bevor es in die Berge geht mache ich noch eine Pause am Supermarkt von Borhaug, wo ich mit einer sehr netten Dame ins Gespräch komme, die sagt, wie stark ich bin. So fühle ich mich gerade zwar überhaupt nicht, aber es tut dennoch irgendwie gut, die Worte zu hören und ich fühle mich wieder richtiger auf dem Weg als noch einige Stunden zuvor. Und dann gibt es noch kostenlosen Kaffee im Supermarkt, da ich heute früh noch kein heißes Getränk hatte, greife ich hier gerne zu. Und nun auf in die Berge! Die Landschaft verändert sich mit jedem zurückgelegten Höhenmeter und ich kann einfach nur staunen, wie schön es hier ist. Bei jeder Verschnaufpause kann ich auch gleich Fotos machen. Und selbst die Schotterpiste ist nicht so schlimm. Ich habe den Eindruck, dass ich erst jetzt für mich lerne, wie ich die Berge (ok eigentlich hier noch Hügel …) bezwinge, zum einen ganz langsam mit vielen Verschnaufpausen, wenn es sehr steil ist und zum anderen mit einer anderen Einstellung, es gilt sich anzuschmiegen an den Weg. Da man so langsam fährt, nimmt man jede kleine Bodenwelle wahr und irgendwie macht das auch Spaß, da man fast den Eindruck hat, mit dem Weg zu verschmelzen. Und so geht es hinauf – hinauf – auch mal hinab – und wieder hinauf. Nach einer Mittagspause auf einem Felsen mit grandioser Ausicht wird es nochmal anstengend, da die ersehnte Abfahrt auf sich warten lässt bzw. immer wieder durch weitere Anstiege unterbrochen wird. Mein Tagesziel liegt heute abseits des Weges, ca. 3 Kilometer und die geht es nun rasant bergab, bis ich alle heute erkämpften Höhenmeter wieder verloren habe und morgen dann wieder zurück erobern muss. Aber ich bin froh, dass der Tag gut gelaufen ist, dass die Berge zwar anstrengend aber machbar waren und vor allem, dass meine schlechte Laune verflogen ist und sich wieder Staunen und Genießen breit macht.
13. Juni
Apla – Flekkefjord
60 Kilometer
Morgens muss ich erstmal die etlichen Höhenmeter hochklettern, direkt nach dem Frühstück eine schweißtreibende Angelegenheit. Dafür ist dann aber auch der Weg umso schöner. Nachdem man die Hauptstraße verlassen hat, gibt es kaum Verkehr aber immer wieder grandiose An- und Ausblicke. Ich fühle mich heute emotional weichgespült und kann nicht genau sagen, woran das liegt, an den Anstrengungen bisher, am vielen Radfahren, am Alleinsein und den vielen Gedanken, die vorüber ziehen oder an der Landschaft, die mich immer wieder staunen lässt. Wie so oft wird es eine Kombination aus allem sein. Und vielleicht war es genau das, was mich so nach Norwegen gezogen hat. Dazu macht sich auch ein kleiner Stolz in der Brust breit. Da sich kein besserer Rastplatz finden lässt, pausiere ich vor dem nächsten Anstieg einfach auf der Seitenstraße und führe mir noch ein paar Kalorien zu. Prompt hält ein Auto und der Fahrer will wissen, ob bei mir alles in Ordnung ist. Nachdem ich ihm erklärt habe, dass ich nur noch ein wenig Kraft vor dem Anstieg sammle, erwiedert er „Oh, this is easy, it’s not a big deal. Full power and you are in 5 minutes on the top. The record is 3 and a half.“ Ich schaue also auf die Uhr und ich brauche etwas länger – geschlagene 24 Minuten, Verschnaufpausen wegen akuter Schnappatmung inklusive. Oben angekommen führt der Weg durch einen kleinen Ort und als ich gerade ein Foto auf einer Brücke mache, entdecke ich das holländische Pärchen wieder. Von ihnen bekomme ich einen heißen Tee und ich bin immer wieder erstaunt, was andere so in ihrem Gepäck haben. Ich liebe zwar Tee, hab mich aber gegen eine Termoskanne entschieden. Die Holländer machen sich schon vor mir auf den Weg. Und auch ich darf kurz darauf feststellen, dass mein Respekt vor der Strecke nicht unbedingt notwendig war, denn es lässt sich viel besser fahren, als erwartet. Bald schon erreiche ich mein heutiges Tagesziel, den Campingplatz vor Flekkefjord und treffe die Holländer dort wieder. Da für den nächsten Tag ergiebiger Regen mit Sturmböen angesagt sind, buchen wir beide direkt für zwei Nächte. Ich bekomme ein Einzelzimmer, das etwas abseits liegt. Offensichtlich bin ich der einzige Gast in dem Komplex und habe eine große Küche mit Wohnbereich und zwei Badezimmer für mich allein. Da ich heute während der Strecke an keinem Supermarkt vorbeigekommen bin, muss ich nochmal los, 4 Kilometer zusätzlich eine Strecke auf einem zerrittenen Weg. Als Belohnung gibt es Matjes mit Kartoffeln und zum Frühstück am nächsten Morgen Spiegelei mit Speck! Und ich freue mich richtig auf einen verregneten Tag, an dem ich nicht mal vor die Tür muss.
15. Juni
Flekkefjord – Flekkefjord
7,26 Kilometer
Der Ruhetag war sehr unspektakulär, spektakulär war lediglich das Wetter draußen und ich fand es prima, im Bett zu liegen und dem peitschenden Regen einfach nur zuzusehen. Der Holländer hat mir einen Floh ins Ohr gesetzt, er wollte in Flekkefjord seine Bremsbeläge austauschen lassen. Ich hab noch erwidert, dass meine noch prima sind, hab allerdings gestern entdeckt, dass eine Bremsbacke hinten lose ist und nicht richtig zieht. Daher mache ich mich so auf den Weg, dass ich um 9 Uhr vor Intersport inklusive Radwerkstatt stehe. Der Mechaniker fängt heute aber erst um 11 Uhr an. Ich solle es mal beim Radgeschäft gegenüber versuchen. Von dem Verkäufer höre ich dann, dass die Bremse tatsächlich nicht so gut ausschaut. Er könne mir aber leider nicht beiden, da er das Modell nicht kenne. Beim Versuch mir selbst zu helfen, löse ich einen Hebel mit dem nicht gewünschten Ergebnis, dass jetzt die komplette Bremse lose ist, hier komme ich ohne fachkundige Hilfe wirklich nicht weiter. Nach einem Kaffee ist es dann irgendwann auch 11 Uhr und ich gehe davon aus, dass mein Problem in 5 Minuten behoben ist. Das ist leider nicht der Fall, denn auch dem Fahrradmechaniker ist das Bremsmodell nicht bekannt. Ich entscheide mich jetzt für einen kompletten Check-up und lasse das Rad da. Um 14 Uhr kann ich es wieder abholen. Ob ich heute wirklich noch weiterfahren soll??? Aber den holprigen Weg zurück zum Campingplatz, da hab ich auch keine Lust zu. Es ist schon komisch wie sehr es einen widerstrebt, zurückzufahren, auch wenn es nur ein paar Kilometer sind. Direkt neben dem Sportgeschäft war doch ein Hotel … Fragen, was eine Nacht kostet, kann man ja mal, auch wenn mir ein Onlineportal mit Bestpreisgarantie schon eine Ahnung gibt. Aber nix da, der Preis ist in der Tat ok für mich, wesentlich günstiger als die “Bestpreisgarantie“, das Zimmer direkt beziehbar und da ich bisher so sparsam war und der Tag bisher so doof, gönne ich mir das einfach mal.
Da ist nämlich noch was anderes, hin und wieder gleiche ich meine Etappen mit google maps ab. Bei der heutigen Etappe gibt google aber sowohl für Fußgänger als auch für Radfahrer einen riesigen Umweg an, statt 40 Kilometer sind es bei google 127! Von den Bergen ganz zu schweigen. Bei meiner Recherche stoße ich auf einen Tunnel, der für Radfahrer gesperrt ist. Und von jedem, den ich frage, bekomme ich etwas anderes zu hören. Nichtmal die ansässige Touri-Info kann mir weiterhelfen. Aus allen Bruchstücken setzt sich schließlich folgendes zusammen: Der Tunnel ist unbeleuchtet, er ist mehrere Kilometer lang und er führt auch noch steil bergauf, genügend Stoff für diverse Horrorszenarien in meinem Kopf. Ich kaufe noch schnell Batterien für meine Stirnlampe. Daneben gibt es noch eine weitere Stimme in meinem Kopf, die mir sagt, so schlimm kann das im Leben nicht sein, es ist ja immerhin der Nordseeküstenradweg und den Tunnel gab es vorher auch schon. Fahr hin und schau dir das an, das wird schon gehen. Auch mein Vater kann mich abends beruhigen, doch die ängstliche Stimme in mir verstummt nicht vollständig.
Als ich mein Rad abhole, zahle ich 500 Kronen, doch die Bremse ist immer noch nicht so wie ich sie mir vorstelle. Eigentlich genau wie vorher. Hmmm, aber lamentieren hilft ja nix, der Mechaniker versichert mir hoch und heilig, dass ich damit in die Berge kann.
Abends gibt es einen durchaus erschwinglichen Grillteller und ein weniger erschwingliches Bier.
16. Juni
Flekkefjord – Sokndal
44 Kilometer
Auch das Frühstücksbuffet lässt bei mir keine Wünsche offen, Lachs, Rührei, Obst und sogar frische Waffeln, so gestärkt kann es ja auf die wohl anspruchsvollste Etappe gehen. Was das Verhältnis von Höhenmetern angeht, habe ich mein ideales Maß gefunden, was bei 1:100 liegt, sprich auf einen Kilometer kommen zehn Höhenmeter, auf 50 dann 500 etc. Das lässt sich für mich gut fahren. Heute ist das Verhältnis bei mehr als 1:50, auf den am Ende 44 Kilometern werde ich 940 Meter nach oben gekurbelt haben. Aber nebem dem tollen Frühstück ist auch das Wetter prima, die Luft ist frisch, die Sonne kommt raus und meine „Route 44“ (44 heißt die Straße, der ich heute folge) ist kaum von Autos befahren. Und auch landschaftlich wieder traumhaft. Den Weg kann man genießen, auch wenn es immer wieder hoch geht. So erreiche ich Ana-Sira zügiger als angenommen. Jetzt folgen nochmal 275 + 200 Höhenmeter und der „Tunnel des Schreckens“. Den ersten Gipfel schaffe ich noch ganz gut, hab jetzt aber schon 650 Höhenmeter in den Beinen. Am Jessingfjorden gibt es eine verdiente, wenn auch kurze Pause. Es gibt noch zwei berühmte Häuser zu bestaunen, aber damit halte ich mich nicht lange auf. Als ich mich die Serpentinen hochschraube, reckt mit ein Autofahrer anerkennend den Daumen in die Höhe. Schon bald erreiche ich den Tunnel und sehe dass ein Radweg separat verläuft, also waren alle Sorgen vollkommen unberechtigt. Im Tunnel gibt es immer wieder Löcher im Felsen, daher ist es nicht komplett dunkel und ich treffe sofort auf ein Pulk norwegischer Rennradfahrer. Die machen heute eine Tour mit 180 Kilometer, bei dem Gelände, da gibt es anerkennende Worte von mir. Und zu mir sagen sie doch tatsächlich: “ Mit Gepäck ist es ja viel schwerer!“ und ich bekomme anerkennende Worte. Ich erzähle den Rennradfahrern von meiner Sorge im Vorfeld und der eine deutet auf eine Tafel auf der geschrieben steht „The wildest road in the country“, ja damit kann man sich dann ja zu Hause brüsten. Und auch das Foto steht durchaus beeindruckend aus. Nachdem der Tunnel durchquert wurde ist es direkt Zeit für die nächste Pause und ich freue mich über die fantastische Aussicht und das Rauschen eines Wasserfalls. Meine Bremsen halten auch bei der letzten Abfahrt. Und da es gegen Abend und nachts wieder regnen soll, hab ich mir für heute eine Hütte reserviert. Das macht sich auch bezahlt und ich mache es mir abends in meinem Schlafsack gemütlich, während der Regen auf das Dach prasselt.
17. Juni
Sokndal – Brusand
68 Kilometer
Morgens ist es zwar bedeckt, aber es regnet immerhin nicht, also kann ich mich zu meiner gewohnten Zeit auf den Weg machen. Zunächst geht es durch einen wunderschönen Ort namens Hauge, direkt am Wasser. Auf der Straße ist außer mir auch keiner unterwegs. Ob das damit zu tun hat, dass heute Sonntag ist? Bis Egersund sind noch ein paar Steigungen zu bewältigen, nun regnet es doch, sodass ich meine Pause in einer Bushaltestelle verbringe. Der Klassiker, der ja bei keiner Radtour fehlen darf. Einen offenen Supermarkt suche ich heute vergebens und erfahre auch in einem Kiosk, dass ich in dieser Gegend keinen finden werde. Aber in einer Tankstelle kann ich mich auch mit weiterem Proviant eindecken, bevor es auf den zweiten Teil meiner heutigen Etappe geht. Ein letzter knackiger Anstieg steht heute noch an und zwar auf der alten Poststraße, die durch Schotterbelag und stetigem auf und ab nicht immer reines Fahrvergnügen bedeutet. Auch hier bin ich komplett allein, weit und breit niemand zu sehen. Die Landschaft hier ist bestonders schön und bei jedem Anstieg wird man mit grandiosen Aussichten belohnt. Nur die Abfahrten lassen sich nicht immer genießen, was zum einen an der schlechten Qualität der Strecke liegt oder an Toren für die Schafe, die man erst öffnen muss, da kann man nicht laufen lassen. Aber es sind die allerletzten Höhenmeter in Norwegen für mich und nun kann ich es langsam ausklingen lassen. Noch ahne ich nicht, dass der heutige Tag noch eine unerwartete Anstrengung als Überraschung für mich hat. Laut meinem Track geht es nun links und somit wieder ans Meer, stimmt auch mit meiner Karte überein. Der Weg wird immer enger und als eine enge Felspassage kommt, entscheide ich mich nach einem Versuch umzudrehen. Mit Gepäck und bei den stufigen Steigungen hier kommt man nicht durch. Mir kommen ein paar Spaziergänger entgegen, die mir Mut machen, es wäre hier nur die eine Passage, danach wird der Weg besser. Die Frau hilft mir sogar noch, das Rad ohne Gepäck über die Felsen zu tragen. Nach weiteren 300 Metern folgt eine ähnliche Stelle, wenn das ein Radweg sein soll, dann weiß ich auch nicht. Also doch umdrehen, und jetzt muss ich mein Rad allein über die felsige Stelle bekommen, bergauf, allein und nach einer Etappe in den Beinen. Ich schimpfe laut und wie ein Rohrspatz, wobei ich noch kraftvollere Ausdrücke benutze, aber es hilft ja nix. Ich muss hier irgendwie durch und nachdem sich das Rad in den Felsen einige Male verkantet hat, schaffe ich es irgendwann und kann mich auf den Weg zurück machen. Erst bei der nächsten Abzweigung bin ich auf dem richtigen Weg und der Track war eindeutig falsch. Geschieht mir ein wenig Recht, dass passiert eben, wenn man auch ganz blind auf die Technik verlässt. Auch für die kommende Nacht ist wieder Regen angesagt, doch der erste Campingplatz möchte einen für mich zu stolzen Betrag für eine Hütte haben, da nehme ich einfach den nächsten, der dann auch wesentlich günstiger ist. Abends lässt sich dann noch die Sonne blicken, bevor in der Nacht der Regen kommt.
18. Juni
Brusand – Stavanger
69 Kilometer
Heute hab ich es nicht mehr weit bis Stavanger. Ich warte noch den stärksten Regen ab, bevor ich mich auf den Weg mache. Als ich auschecke, wird mein Rad von einem deutschen Wohnmobil-Touristen fotografiert. Der begutachtet dann auch direkt meine Regenkleidung und bietet mir an, mich nach Stavanger mitzunehmen. Doch die letzten Kilometer möchte ich mir heute trotz schlechten Wetters nicht nehmen lassen. Ich fahre heute wieder auf der Route 44, die inzwischen wesentlich verkehrsreicher ist. Und leider endet irgendwann auch der Radstreifen. Sich von LKWs überholen zu lassen ist kein so großes Fahrvergnügen, aber heute auf Schotterstraßen fahren, mag ich auch nicht. In Bryne gibt es ein Einkaufszentrum und ich nutze die Gelegenheit um ein paar norwegische Spezialitäten für die Familie zu Hause zu kaufen und um mich wieder trocken zu legen. Für heute habe ich wieder eine Unterkunft über warmshowers und noch massenhaft Zeit. Mit google maps und komoot recherchiere ich dann noch den schönsten Weg nach Stavanger. Entlang eines Sees ohne Autoverkehr kann ich nun nochmal besser meine Gedanken ziehen und den ersten Teil der Tour Revue passieren lassen. Und ja, ich finde Stolz ist vollkommen angebracht. Das war jetzt immerhin in der letzten Woche und bewundere in den letzten Tagen das anspruchsvollste Stück der bisherigen Strecke. Witzigerweise bekomme ich genau jetzt eine Nachricht von Tilly, die wissen möchte, wo ich bin. Sie hatte von der alten Poststraße wohl genug und ist ab Kristiansand mit dem Schiff nach Bergen gefahren. Nun ist sie weiter auf dem Weg in Richtung Nordkap. Ich genieße derweil sehr langsam meine letzten Kilometer trotz Regen und bin dann auch schon bald in Stavager. In der Touri-Info kann ich noch meine Überfahrt für die Fähre buchen, bevor mein letzter und überaus netter Abend in Norwegen anbricht. Neben mir hat sich bei meiner Gastgeberin noch ein Pärchen aus Südkorea einquartiert, das schon seit 2 1/2 Jahren mit dem Rad unterwegs ist und morgen die selbe Fähre nehmen wird.
Am nächsten Tag lockt mich wegen des bescheidenen Wetters auch kein Tagesauflug und außerdem hab ich den Kopf noch voll mit Eindrücken, daher gibt es nur einen kleinen Bummel in Stavanger und nochmal knapp 20 Kilometer mit dem Rad zur Fähre, die kurz nach 20 Uhr ablegt. Bevor es eine eher schlaflose Nacht wegen einigen lautstarken oder singenden Betrunkenen gibt, die die dänischen Preise in vollen Zügen auskosten, gibt es noch einen wunderschönen Moment, der ein so schönes Schlossbild für meinen ersten Teil der Tour abgibt, dass ich ihn nicht vergessen werde.
Die Sonne steht tief und taucht das Meer in goldenes Licht, ich finde einen Platz direkt am Fenster in der Bar, in der es gerade Live-Musik gibt und bin sehr dankbar und glücklich, dass alles so gut gelaufen ist. Neben mir sitzt ein älteres Ehepaar und das Schiff über ein paar Wellen tanzt, müssen der Mann und ich immer wieder kindisch lachen, weil es so schön kribbelt im Bauch.